Abstrakte Kunst und Ausführung.
HENRY NIESTLE—MÜNCHEN. »JUNGE BUSSARDE« PRIVATBESITZ-DÜSSELDORF.
Laie bei seiner Berufung auf die alten Meister
denkt, so findet man, daß ihm ungefähr die
Tafelbildmalerei der klassischen Renaissance
vorschwebt. Und auch diese nicht in ihrer
ganzen Fülle, die ja wahrhaftig Saft und male-
rische Intensität genug enthält, sondern in jener
blassen, schönmalerischen Auffassung, wie sie
der Akademizismus des neunzehnten Jahrhun-
derts hatte. Würde man dem Laien etwa ein
Werk der Frühgotik, vielleicht einen alten deut-
schen Holzschnitt, oder gar ein Werk prähisto-
rischer Kunstübung vorlegen, die ja zu den
Werken der jungen Kunst viel unmittelbarere
Beziehungen aufweisen, so würde er erwidern,
daß die Urheber jener Werke eben „noch nicht
so weit waren" und „noch nicht mehr konnten".
— An dieser Stelle sieht man, daß Künstler-
urteil und Laienurteil bereits bei der Bewertung
der Vergangenheit auseinandergehen, und daß
das, was sie trennt, nicht erst bei den Produkten
der Tagesmode beginnt. Denn das ist nun das
erste, was der Künstler dem Laien bestreiten
würde, daß jene Härten und Unbeholfenheiten,
die uns an den Werken archaischer Zeiten auf-
fallen und das ungeschulte Auge zuerst be-
fremden, der Ausdruck mangelnden Könnens
seien. Gewiß stehen die Urheber jener frühen
Werke an Gewandtheit der naturalen Form-
gebung gegen die Meister späterer Zeiten zu-
rück. Aber was nun in ihren Schöpfungen zum
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HENRY NIESTLE—MÜNCHEN. »JUNGE BUSSARDE« PRIVATBESITZ-DÜSSELDORF.
Laie bei seiner Berufung auf die alten Meister
denkt, so findet man, daß ihm ungefähr die
Tafelbildmalerei der klassischen Renaissance
vorschwebt. Und auch diese nicht in ihrer
ganzen Fülle, die ja wahrhaftig Saft und male-
rische Intensität genug enthält, sondern in jener
blassen, schönmalerischen Auffassung, wie sie
der Akademizismus des neunzehnten Jahrhun-
derts hatte. Würde man dem Laien etwa ein
Werk der Frühgotik, vielleicht einen alten deut-
schen Holzschnitt, oder gar ein Werk prähisto-
rischer Kunstübung vorlegen, die ja zu den
Werken der jungen Kunst viel unmittelbarere
Beziehungen aufweisen, so würde er erwidern,
daß die Urheber jener Werke eben „noch nicht
so weit waren" und „noch nicht mehr konnten".
— An dieser Stelle sieht man, daß Künstler-
urteil und Laienurteil bereits bei der Bewertung
der Vergangenheit auseinandergehen, und daß
das, was sie trennt, nicht erst bei den Produkten
der Tagesmode beginnt. Denn das ist nun das
erste, was der Künstler dem Laien bestreiten
würde, daß jene Härten und Unbeholfenheiten,
die uns an den Werken archaischer Zeiten auf-
fallen und das ungeschulte Auge zuerst be-
fremden, der Ausdruck mangelnden Könnens
seien. Gewiß stehen die Urheber jener frühen
Werke an Gewandtheit der naturalen Form-
gebung gegen die Meister späterer Zeiten zu-
rück. Aber was nun in ihren Schöpfungen zum
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