Vom Vorstellen und Gestalten des Kunstwerks.
zeugung, daß gerade die in unfaßlicher Unendlich-
keit auf uns hereinhämmernden Ereignisse dieser
Zeit, die völlige Unmöglichkeit, sie zu einer
einzigen Synthese zu bringen, uns den Ge-
dankengängen des Expressionismus nahebrin-
gen werden, obgleich doch gerade seiner rela-
tiven Einfachheit wegen als komplizierteres Ziel
einer späteren Zeit wieder vorschweben dürfte,
das ganze Strahlenbündel in einem Brennpunkt
zusammenzuziehen und erst wieder in der rezep-
tiven Vorstellung des Betrachtenden als eine
Unendlichkeit von Wirkungen auseinander
fliegen zu lassen.
Die Kunstwissenschaft hat sich fast aus-
schließlich um die ästhetische Auslegung des
fertigen Werks vor eben diesem fertigen Werk
bemüht. Man wird aber die Anschauung ge-
wordenen Formvorstellungen nur teilweise oder
gar nur äußerlich verstehen, wenn man sich
einzig um das Endergebnis kümmert. Denn hier
nimmt die rezeptive Vorstellung nur auf, was
sie anspricht. Besonders gut verdeutlicht diese
Ungerechtigkeit dem Kunstwerk gegenüber die
Neuaufnahme der historischen Stile im 19. Jahr-
hundert. Aus jenen wurde herausgenommen
und ohne starke Kraft neugebildet, was die
rezeptive Vorstellung des betreffenden Nach-
ahmers aufzunehmen vermochte. Eine spätere,
historisch geschultere und wissenschaftlich
klarere Zeit hat sehr auffällig den Unterschied
dem Vorbild gegenüber trotz allen Mühen um
echte Wirkung anmerken können. Wie es jenen
historisierenden Künstlern dem historischen
Kunstwerk gegenüber ging, so ergeht es uns
selbstverständlich auch jedem Kunstwerk un-
serer Zeit gegenüber, mögen wir auch als Kinder
gleicher Zeit leichtere Annäherungsmöglich-
keiten haben. Wir haften am Einzelnen, ohne
der Gesamtheit des Vorstellungsprozesses, aus
dem das Kunstwerk ein Querschnitt ist, näher-
zukommen, falls wir nicht befähigt sind, den
Vorgang werdender Vorstellungen gegenüber
dem endgültigen Kunstwerk nacherlebt zu
haben. Alles Schwergewicht der Betrachtung
wird immer noch auf das Endergebnis verlegt.
Daß aber selbst dieses Endergebnis kein solches
für den Gestaltenden ist, wurde schon gesagt.
Wir werden ja auch einem Menschen nicht
gerecht, wenn wir aus seinem steten Werden
einen Moment herausgreifen, wir verstehen
einen philosophischen Gedanken ohne Prä-
missen und Folgerungen nicht. Dem Kunstwerk
aber, das doch auch nur Teil eines größeren
steten Werdens ist, glauben wir diese abtötende
Isolierung zumuten zu können. Was uns not
tut, ist eine evolutionistische Betrachtungsweise
auch dem Kunstwerk gegenüber, nicht einzig
die Analyse eines nach vorwärts und rückwärts
begrenzten Schaustücks. Man hat philosophisch
selbst rezeptiv noch nicht denken gelernt, wenn
man einige Sentenzen kennt, ebenso bleibt das
Reich künstlerischen Gestaltens dem fremd,
der nur Ergebnisse sieht, dem Werden dieser
Ergebnisse aber nicht nachzudenken vermag.
Das Mit- und Nachdenken des künstlerischen
Vorstellungsgangs bleibt eine Aufgabe, die noch
unendlich viel zu erfüllen hat, denn einzig sie
führt aus der Oberfläche in die Tiefe des Kunst-
werks ein. — Für große Gebiete alter Kunst
fehlen die Möglichkeiten zum Nachdenken des
künstlerischenVorstellungsganges allerdings fast
vollkommen, nur Rückschlüsse aus gegenwär-
tigem künstlerischen Schaffen werden schwach
diese fernen Gebiete erhellen. Eine Mahnung
übrigens für den Kunsthistoriker, die förder-
lichen Werte nicht zu verkennen, die in der
Beschäftigung mit moderner Kunst auch für
den Deuter alter Kunst liegen.
Wird nun derjenige, der nicht selbst schöp-
ferisch gestaltet, in dieses wirbelvolle Labyrinth
überhaupt einen Zugang finden? Kann nicht
allerletzt nur noch der, dem es vergönnt ist,
den gestaltenden Künstler zu umlauern, wie
der Biologe sein Studienobjekt umlauert, darauf
rechnen, einige Wellen aus jenem dunklen
Wirbel aufzufangen? Ist damit aber nicht gar
das weite Reich der Kunst dem Nichtkünstler
verschlossen, bleibt nicht sogar der Künstler
dem Künstler als anderem Individuum fern, und
schafft er nicht als ein ewig Einsamer einzig für
sich selbst, einzig für seine Erkenntnis? Leider
muß eingestanden werden, daß diese Fragen
keine fröhliche Auflösung erhoffen lassen. Wer
sie weiter ausspinnt, wird bescheiden und schon
beglückt mit einem Blick durch die vergoldeten
Gitter dieses verschlossenen Reichs. Den Blick
aber sollten wir wohl festhalten und auch ver-
suchen, die Stangen etwas auseinander zu
biegen. Denn im Ablauf des künstlerischen
Vorstellungsvorgangs lüftet sich der Schleier
hier und dort. Eine Skizze, ein Wort lassen
manches erraten, die Erlebnisse eigener pro-
duktiver Tätigkeit auf jedwedem geistigen Ge-
biet gesellen sich hinzu, und so erhellt sich dort
ein Werden, wo vorher nur ein Sein erkannt
wurde. In der Aufdeckung solchen Werdens,
in dem Bemühen um Erkenntnis jenes zweiten
großen Reichs neben dem Reich des begriff-
lichen Denkens harrt der Kunstwissenschaft
eine mächtige Aufgabe. Der geistige Vorgang
des künstlerischen Gestaltens will erkannt sein
im einzelnen Kunstwerk, in der zeitlichen Ab-
folge der Kunstwerke.
Künstler sind stets ablehnend gegen eine
zeugung, daß gerade die in unfaßlicher Unendlich-
keit auf uns hereinhämmernden Ereignisse dieser
Zeit, die völlige Unmöglichkeit, sie zu einer
einzigen Synthese zu bringen, uns den Ge-
dankengängen des Expressionismus nahebrin-
gen werden, obgleich doch gerade seiner rela-
tiven Einfachheit wegen als komplizierteres Ziel
einer späteren Zeit wieder vorschweben dürfte,
das ganze Strahlenbündel in einem Brennpunkt
zusammenzuziehen und erst wieder in der rezep-
tiven Vorstellung des Betrachtenden als eine
Unendlichkeit von Wirkungen auseinander
fliegen zu lassen.
Die Kunstwissenschaft hat sich fast aus-
schließlich um die ästhetische Auslegung des
fertigen Werks vor eben diesem fertigen Werk
bemüht. Man wird aber die Anschauung ge-
wordenen Formvorstellungen nur teilweise oder
gar nur äußerlich verstehen, wenn man sich
einzig um das Endergebnis kümmert. Denn hier
nimmt die rezeptive Vorstellung nur auf, was
sie anspricht. Besonders gut verdeutlicht diese
Ungerechtigkeit dem Kunstwerk gegenüber die
Neuaufnahme der historischen Stile im 19. Jahr-
hundert. Aus jenen wurde herausgenommen
und ohne starke Kraft neugebildet, was die
rezeptive Vorstellung des betreffenden Nach-
ahmers aufzunehmen vermochte. Eine spätere,
historisch geschultere und wissenschaftlich
klarere Zeit hat sehr auffällig den Unterschied
dem Vorbild gegenüber trotz allen Mühen um
echte Wirkung anmerken können. Wie es jenen
historisierenden Künstlern dem historischen
Kunstwerk gegenüber ging, so ergeht es uns
selbstverständlich auch jedem Kunstwerk un-
serer Zeit gegenüber, mögen wir auch als Kinder
gleicher Zeit leichtere Annäherungsmöglich-
keiten haben. Wir haften am Einzelnen, ohne
der Gesamtheit des Vorstellungsprozesses, aus
dem das Kunstwerk ein Querschnitt ist, näher-
zukommen, falls wir nicht befähigt sind, den
Vorgang werdender Vorstellungen gegenüber
dem endgültigen Kunstwerk nacherlebt zu
haben. Alles Schwergewicht der Betrachtung
wird immer noch auf das Endergebnis verlegt.
Daß aber selbst dieses Endergebnis kein solches
für den Gestaltenden ist, wurde schon gesagt.
Wir werden ja auch einem Menschen nicht
gerecht, wenn wir aus seinem steten Werden
einen Moment herausgreifen, wir verstehen
einen philosophischen Gedanken ohne Prä-
missen und Folgerungen nicht. Dem Kunstwerk
aber, das doch auch nur Teil eines größeren
steten Werdens ist, glauben wir diese abtötende
Isolierung zumuten zu können. Was uns not
tut, ist eine evolutionistische Betrachtungsweise
auch dem Kunstwerk gegenüber, nicht einzig
die Analyse eines nach vorwärts und rückwärts
begrenzten Schaustücks. Man hat philosophisch
selbst rezeptiv noch nicht denken gelernt, wenn
man einige Sentenzen kennt, ebenso bleibt das
Reich künstlerischen Gestaltens dem fremd,
der nur Ergebnisse sieht, dem Werden dieser
Ergebnisse aber nicht nachzudenken vermag.
Das Mit- und Nachdenken des künstlerischen
Vorstellungsgangs bleibt eine Aufgabe, die noch
unendlich viel zu erfüllen hat, denn einzig sie
führt aus der Oberfläche in die Tiefe des Kunst-
werks ein. — Für große Gebiete alter Kunst
fehlen die Möglichkeiten zum Nachdenken des
künstlerischenVorstellungsganges allerdings fast
vollkommen, nur Rückschlüsse aus gegenwär-
tigem künstlerischen Schaffen werden schwach
diese fernen Gebiete erhellen. Eine Mahnung
übrigens für den Kunsthistoriker, die förder-
lichen Werte nicht zu verkennen, die in der
Beschäftigung mit moderner Kunst auch für
den Deuter alter Kunst liegen.
Wird nun derjenige, der nicht selbst schöp-
ferisch gestaltet, in dieses wirbelvolle Labyrinth
überhaupt einen Zugang finden? Kann nicht
allerletzt nur noch der, dem es vergönnt ist,
den gestaltenden Künstler zu umlauern, wie
der Biologe sein Studienobjekt umlauert, darauf
rechnen, einige Wellen aus jenem dunklen
Wirbel aufzufangen? Ist damit aber nicht gar
das weite Reich der Kunst dem Nichtkünstler
verschlossen, bleibt nicht sogar der Künstler
dem Künstler als anderem Individuum fern, und
schafft er nicht als ein ewig Einsamer einzig für
sich selbst, einzig für seine Erkenntnis? Leider
muß eingestanden werden, daß diese Fragen
keine fröhliche Auflösung erhoffen lassen. Wer
sie weiter ausspinnt, wird bescheiden und schon
beglückt mit einem Blick durch die vergoldeten
Gitter dieses verschlossenen Reichs. Den Blick
aber sollten wir wohl festhalten und auch ver-
suchen, die Stangen etwas auseinander zu
biegen. Denn im Ablauf des künstlerischen
Vorstellungsvorgangs lüftet sich der Schleier
hier und dort. Eine Skizze, ein Wort lassen
manches erraten, die Erlebnisse eigener pro-
duktiver Tätigkeit auf jedwedem geistigen Ge-
biet gesellen sich hinzu, und so erhellt sich dort
ein Werden, wo vorher nur ein Sein erkannt
wurde. In der Aufdeckung solchen Werdens,
in dem Bemühen um Erkenntnis jenes zweiten
großen Reichs neben dem Reich des begriff-
lichen Denkens harrt der Kunstwissenschaft
eine mächtige Aufgabe. Der geistige Vorgang
des künstlerischen Gestaltens will erkannt sein
im einzelnen Kunstwerk, in der zeitlichen Ab-
folge der Kunstwerke.
Künstler sind stets ablehnend gegen eine