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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 39.1916-1917

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Hausenstein, Wilhelm: Erinnerung an Gustav Schönleber
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https://doi.org/10.11588/diglit.8535#0444

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Erinnerung an Gustav Schönleber.

Gedanke wie Pflicht zu hart erschien, auf die
einfachste Weise besaß. Jenseits dieses Zusam-
menlebens sah man von weitem den Künstler
hartnäckig, mit dem Fleiß, der Zähigkeit, der
Intimität und dem ausschließlichen Hingegeben-
sein eines fertigen und von jeher entschlossenen
Mannes schaffen. Ich sehe ihn, wie er mit
nackten Beinen, fast arbeitergleich, und immer
schwere Zigarren rauchend weit draußen am
Wasser hockte, im Wasser stand und ohne Rast
die schwarzen Rümpfe, die rostbraunen Segel
der Schiffe, die olivgelben Gummimäntel der
Fischer von La Panne malte. Kam er dann
nach Hause, so schwieg er von der Kunst, oder
es fiel in liebenswürdige, erholende, entzückend
maßvolle Gespräche, in Tischgespräche, die
aus Heiterkeit und Bedeutung reizend gemischt
waren, von Zeit zu Zeit ein Wort vom Getanen
und Geplanten — gerade soviel, als die anderen
brauchten, damit ihnen von der Struktur dieses
Künstlerlebens das Mitteilbare ersichtlich blieb.

Seine Malerei wurzelte im Menschlichen, in
der Liebe zur Welt, in dem schönen Wohl-
wollen, das durch Bilder erfreuen will. Sie
war nicht radikal, aber sehr gründlich, nicht
visionär, aber tief andächtig, nicht glorreich,
aber voll von reinem innerem Licht. Gemessen
am Größeren blieb sie ganz sicher gut.

Von seinen Bildern, die vor allem an drei
Orten gemalt wurden: an der italienischen
Riviera, an der belgischen Küste und im Schwä-
bischen, zwischen Pforzheim und Stuttgart, im
Enztal, das der Bietigheimer Schwabe, der
Karlsruher Akademielehrer liebte und das die
Empfindungen bewegt, führt die Verbindung
für mich immer wieder auf dem kürzesten Weg
zu seiner Persönlichkeit: am raschesten zu
seiner Art, den Besucher seines Hauses, seines
von genialen Schnörkeln freien Ateliers zu
empfangen. Der starke Mann mit dem aufrecht-
stehenden gebleichten Haar, dem altmeisterlich
kräftigen Gesicht, dem rüstigen Skelett, den
betonten Wangenknochen hatte eine zarte Art,
zu begrüßen, und wiewohl die dicken Brillen-

gläser des schwer Kurzsichtigen, der nur mit
einem Auge sah und malte, da das andere früh
zerstört war, abblendend den Blick verdeckten,
empfand man die reine Herzlichkeit seiner Art,
anzuschauen. — Es ist unzweifelhaft, daß seine
Kunst, als Summe genommen, in eine bestimmte
Generation und Art gebunden ist. Er kam von
Lier; er liebte die Maler von Barbizon, ver-
ehrte Spitzweg und Eduard Schleich. Das ist
eine Einreihung. Aber sie besagt im Grunde
wenig gegenüber der tief dezenten Tatsächlich-
keit seines Lebens und Arbeitens, die in der
Nähe gesehen — und irgendwie überhaupt auf
Nähe gestellt — den unwiderstehlichen Zauber
des Absoluten gewinnen konnte. Seine Kunst
hatte einen bestimmten Instinkt für das im for-
malen, vielleicht zeitgeschichtlichen Sinn Schick-
liche und verfeinerte dies Schickliche auf
eine zugleich persönliche und zurückhaltende
Art. Das ist weniger als die Formel der Kunst
überhaupt. Aber gewiß ist, daß, was er schuf,
menschlich und künstlerisch überzeugte.

Meine persönliche Verpflichtung gegen den
Toten bleibt für mich, daß ich in seinem Kreis
Tage, Wochen, Monate verlebte, die zu den
glücklichsten meines Lebens gehören, und daß
ich durch ihn zuerst erfuhr, was Kunst ist (durch
sein sparsames Wort weniger als durch die ge-
samte Wirklichkeit seines Daseins). Sehr weit
bin ich von ihm seitdem weggegangen. Weitab
liegen schon die Tage, in denen ich ihn sah,
wie er die Mitte eines Hauses war, und in denen
ich an seiner Seite zwischen den Ginsterbüschen
von La Panne, am Markt von Furnes, in den
Straßen und Museen Brüssels umherging oder,
mit seinen lieben Söhnen auf einen Ausflug ge-
schickt, vor der Tuchhalle in Ypern stand. Wenn
ich heute eines seiner Bilder aus der gemein-
samen Heimat, aus dem badisch-schwäbischen
Weltwinkel sehe, dann wüßte ich nicht, daß
ich es vor mir undj irgendwem verleugnen
müßte...........

.......... WILHELM HAUSEN STEIN.

Anmerkung der Schriftleitung: Auf das künstlerische
Schaffen des Meisters gedenken wir in einem der nächsten Hefte
noch ausführlich zurückzukommen.
 
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