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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Niebelschütz, Ernst von: Der Künstler und sein Modell
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0049

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Der Künstler und sein Modell

napoleone martinuzzi— murano

»RELIEF AM POSTGEBAUDE FERRARAc

(den einmaligen Fall) einfach ab. Das tun nur
die Ölfrevler, die allerdings die Majorität bilden,
darum aber noch lange nicht recht haben. Sie
sind Sklaven des Modells, während der Meister
sich zum Herrn darüber macht. Stellt er doch
auch in dem Weibe seiner Wahl letzten Endes
nur sich selber dar, will sagen seine geistige
Vorstellung vom Weibe, die sich mit dem Objekt
nie ganz decken wird. Er benutzt das Modell
höchstens, um immer wieder seine Vorstellung
an der Natur zu berichtigen.

Dies war z. B. das Verfahren Böcklins. Er
fühlte sich leicht durch das Modell geniert, ver-
bannte es darum ins Nebenzimmer, zog es nur
von Fall zu Fall zu Rate, um sich durch die
ständige Anwesenheit der Realität und ihrer
hundert Zufälligkeiten nicht beirren zu lassen.
Notgedrungen, d. h. um des häuslichen Friedens
willen, kam er sogar ganz ohne Modell aus,
dank seinem enormen Gedächtnis, — und
künstlerische Phantasie ist ja nichts anderes als
ein stets bereites Gedächtnis — das ihm die
Erfahrungstatsachen, die er gerade brauchte,
in jedem Augenblick zur Verfügung stellte.
Anders Feuerbach, der ohne sein Modell hilflos
war, gar nicht zu reden von der großen Masse
der ewig Unselbständigen, die, wie Böcklin ein-
mal scherzt, keinen kleinen Finger malen
können, „wenn die Lina gerade keine Zeit hat".

Die Zeit der großen Modelle scheint vorbei
zu sein, für immer. Im Grunde war sie es schon
mit dem Sinken der Antike und dem Ver-
schwinden der Nacktheit aus dem öffentlichen
Leben. Das Mittelalter kannte, wenigstens in

der Frühzeit, nur das „Exemplum", nicht den
einzelnen Fall, also auch kein Modellstudium.
Erst im 13. Jahrhundert, etwa in den Bamberger
Figuren des ersten Menschenpaares, glaubt man
ein neues, auf Erfahrung gegründetes Natur-
gefühl schüchtern durchbrechen zu sehen. Dann
führt die Renaissance, zumal die italienische,
zusammen mit der säkularisierten Kunst das
eigentlich „goldene Zeitalter" auch der Modelle
herauf, an die sich fast ebenso viel Geschichten
knüpfen wie an die Künstler selber, angefangen
mit jener lebensdurstigen Nonne Lukrezia Buti,
die der lockere Malermönch Fra Filippo Lippi
aus dem Kloster stahl, bis zu den großen Kur-
tisanen Venedigs, die wir auf Tizians Bildern
die goldene Pracht ihrer Glieder entfalten sehen.
Nur ist es nicht mehr die frei sich bewegende
Schönheit des Altertums, es sind Reize, die,
der Sitte und Konvention abgetrotzt, im Ver-
borgenen des Ateliers blühen. Mit anderen
Worten: das Modell wird ein Reservatvorrecht
für wenige, für die Künstler, und fast immer hat
Eros seine Hand dabei im Spiel. Kein Wunder,
daß sich seither im öffentlichen Bewußtsein das
Modellstehen mit dem Begriff des Unerlaubten,
des der bürgerlichen Wohlanständigkeit Wider-
sprechenden verbindet. Selten nur, ganz selten,
daß eine große Dame als Modell einem großen
Künstler ihre nicht vulgäre Schönheit darbietet.
So tat es die Schwester Napoleons, Pauline
Borghese, als sie dem Canova für seine römische
Venus saß. So noch jene edle Unbekannte, der
Böcklin in der Flora des Basler Treppenhauses
das ewige Leben schenkte..........e. v. n.

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