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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Born, Wolfgang: Neue Bilder von Oskar Kokoschka
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0087

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NEUE BILDER VON OSKAR KOKOSCHKA

VON TVOIFGANG BORN

Die Wandlung, die sich während des letzten
Jahrfünfts im Schaffen Kokoschkas voll-
zogen hat, offenbart sich schon äußerlich im
Gegenständlichen. Die Landschaft beschäftigt
ihn in ganz überwiegendem Maße, und zwar die
der Fremde. Der Maler ist auf Reisen gegangen.

Was bedeutet dieser Entschluß, dieses Ab-
streifen aller festen Lebensformen, bei einem
Künstler auf der Höhe seiner Laufbahn? —
Man vergegenwärtige sich, wie er begann: fast
noch halbwüchsig, als Schüler der Wiener Kunst-
gewerbeschule, machte er Aufsehen. Was aus
seinen Händen kam, hatte von vornherein eine
unverkennbare Note. Eine befremdende Ein-
dringlichkeit, diehinter jeder Erscheinung ein Ge-
heimnis aufzuspüren schien, manifestierte sich
in Bildnissen von entlarvender Auffassung.

Die überzüchtete Geistigkeit der endlosen
Diskussionen, mit denen sein Wiener Freun-
deskreis die wachen Nächte füllte, fand ihren
Widerhall in einer unnachahmlichen Malerei.
Die Materie irisiert, wie das Wasser einer trüben
Lache, die Zeichnung zerfasert den Körper als
eine Art suggestiver Anatomie. Das Porträt
wächst über seine Bindung an den einzelnen

Menschen hinaus zur Gestaltung überpersön-
licher Erscheinungen. Wie von selbst schließen
sich die einmal konzipierten Figuren zu einer
magischen Sonderwelt zusammen, die ganz und
gar Kokoschkas Eigentum ist. Es entstehen die
unvergeßlichen Kompositionen, deren traum-
hafte Unwirklichkeit mit souveränem Können
glaubhaft gemacht ist, und deren hinreißende
innere Spannung in Werken von tragischer Zeit-
bedeutung gipfelt. Kokoschka hat das Schick-
sal der kämpfenden Menschheit bis an die
Grenze der eigenen Vernichtung geteilt. Von
furchtbarer Verwundung genesend, schuf er die
künstlerische Formel für den Untergang und die
Erlösung seiner Generation. Bild auf Bild ent-
stand, in unheimlich rascher Aufeinanderfolge,
eins das andere übersteigernd an Sprachgewalt.
Der nervöse Strich schließt sich allmählich zu
vehementen Silhouetten zusammen, in denen
brennende Farben dick und emailhaft aufge-
speichert werden. Etwas Grelles, Fanatisches
kam damals in Kokoschkas Malerei.
Was das Arbeiten im Atelier nicht hergeben
wollte, fand der einsame Maler, als er, gelöst
aus den stumm gewordenen Dingen der gewohn-

XXXIV. November 1930. 2
 
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