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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Nemitz, Fritz: Zur Soziologie der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0105

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Zur Soziologie der Ktmst

konnte dieses niemals zur Wesensgesetzlichkeit
der Kunst führen. Diese Wesensgesetzlichkeiten
und Zusammenhänge müssen soziologischer
Natur sein, d. h. sie müssen alle die Momente
des individuellen Geschehens in sich tragen,
die auf dessen Bedingtheit durch die Eigen-
tümlichkeit der Vergesellschaftung hindeuten.

Die Erkenntnisse der Soziologie erhärten
mehr als die selbstverständliche Wahrheit, daß
die Gesellschaft auf die Kunst wirke und um-
gekehrt. Die Soziologie vindiziert der gesell-
schaftlichen Bildung und Wandlung die Bedeu-
tung der Grundlage aller Erscheinung.

Auch der Künstler lebt nicht im Wolken-
kukuksheim; im beziehungslosen Raum allein
liegt keine Möglichkeit zum Werk. Auch die
Kunst ist durchaus die Sphäre des Möglichen.
Aus der Bindung macht sie eine Tugend: Schön-
heit. Über alle Spannungen und Gegensätze
hinaus, ja gerade wegen dieser Spannungen
sucht sie die Brücke zu schlagen von Mensch
zu Mensch. Aber sie entflieht damit nicht der
Wirklichkeit. Grenze und Stoff des Werkes ist
die menschliche Gesellschaft. Wenn man aus ihr
auch niemals ein Kunstwerk machen kann, so
hat dieses in ihr doch seinen Wurzelboden.

Gewiß ist auch die soziologische Betrach-
tungsart zeitlich bedingt, aber sie gibt uns doch
ein Maximum objektiver, allgemeingültiger Er-
kenntnissse. Sie bewegt sich auf einer verhält-
nismäßig schmalen Linie und oft an der Peri-
pherie des Gebietes, aber sie gibt uns Möglich-
keiten, Zeit und Kunst in einen sichtbaren, faß-
baren, nicht nur flächen-, sondern auch tiefen-
haften Zusammenhang zu bringen. . . dr. fr. n.
*

Die Kunst ist eine Macht, die in alle Lebens-
verhältnisse eingreift und mit der auf allen
Gebieten gerechnet werden muß. Sie ist nicht
ein bloßer Genuß, nicht ein Luxus, auf den man
verzichten könnte, sondern das unentbehrliche
Mittel zur Mitteilung der Gefühle.

Bevor eine Erkenntnis durchdringt, kann
weder bei den Künstlern, noch beim Publikum
von einer richtigen Würdigung der Kunst die
Rede sein. Wir erinnern an das Wort von Ernst
Grosse: „Der Mensch ist nicht immer das „rast-
lose Ursachentier", das der Wissenschaft be-
darf ; die Seele, die sich müde gesucht hat, sehnt
sich nach Ruhe, nach der Ruhe von der Qual
des Willens und Wähnens, welche die Kunst
spendet."................ cw.ka.mbli.

OTHON FRIESZ-PAR1S. GEMÄLDE »STILLEBEN« 1927

XXXIV. November 1930. i
 
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