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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Habicht: Konservieren oder Neubauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0167

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Konservieren oder neubauen

Es wurde ferner die sehr einleuchtende For-
derung erhoben, daß an Denkmale wie den
Kölner Dom selbstverständlich nur erste, schöp-
ferische Baukünstler unserer Zeit herangelassen
werden dürften. Gerade dieses Argument ent-
hält aber Voraussetzungen, die bei einem ru-
higen Überdenken zu einer vollkommenen Ab-
lehnung dieses Standpunktes führen müssen.
Es gehört keine Selbstbesinnung dazu, einzu-
sehen, daß sich die schöpferischen Kräfte unserer
Zeit, vorerst wenigstens noch, im Technischen
konzentrieren und erfüllen: Autos, Luftschiffe,
Flugzeuge, Radioapparate usw. muß man als
die vollkommenen Leistungen unserer Zeit an-
sehen, auch wenn man überzeugt ist, daß die
ganze Zielrichtung und Sinnsetzung dieser Zeit
gegennatürlich und daher verwerflich ist. Die
Tatsache, daß es möglich ist, sich im baukünst-
lerischen Schaffen diesen Zeitströmungen und
-forderungen anzupassen, kann aber auf keinen
Fall über die andere hinwegtäuschen, daß die
Kunst nicht der Ausdruck unserer Zeit ist, und
es ist ganz folgerichtig, daß einzelne Führer der
modernsten Baugesinnung den Begriff Kunst für
ihr Schaffen vollkommen ablehnen. Diese Archi-
tekten sind Gestalter, z. T. bewundernswerter
Leistungen, aber keine Baukünstler. Der be-
rechtigte Einwand, inwieweit diese Meister un-
gewollt doch Künstler sind, kann hier außer Acht
gelassen werden. Es genügt festzustellen, daß
das Ziel kunstfeindlich ist und es sein muß, weil
der Zeitwille selbst, kunstfremd, ganz anderen
Problemen als solchen der Kunst zustrebt. Wir
können nicht einerseits von Krisen der Kunst
sprechen, die Interesselosigkeit des Publikums
beklagen und selbst feststellen, daß den jüng-
sten Leistungen irgendwie innere Anteilnahme
versagt bleiben muß — und andererseits die
Augen vor diesen Tatsachen verschließen. Es
wäre ferner sehr unlogisch, die Berechtigung,
erste schöpferische Architekten zu Neubauten
statt Konservierungen an historische Denkmäler
heranzulassen, davon abzuleiten, daß einige
dieser Architekten moderne Kirchenbauten
bereits geschaffen haben. Selbstverständlich
wird man es voll billigen, wenn sakrale Neu-
bauten weitgehend dem jetzigen Bauwillen an-
gepaßt sind, ohne sich hindern zu lassen, diesen
Bauten einen überzeugenden Stilcharakter ab-
zusprechen. Es sind Notbauten, die den Be-
dürfnissen entsprechend erstellt werden müssen,
Beispiele, die es in der Sakralarchitektur auch
sonst gibt, die aber als Bauschöpfungen keinem
herrschenden Bedürfnis der Zeit entspringen.
Wie die Areligiosität unserer Zeit nicht durch
den Hinweis auf Millionen von Gläubigen an-
gezweifelt werden kann und berührt wird, eben-

sowenig entkräftet das Vorhandensein uns ge-
lungen erscheinender moderner Kirchenbauten
die Behauptung, daß der Gesamtwille der Zeit
nicht auf sakrale Bauleistungen eingestellt ist.
Es hieße die Grundtendenzen der Renaissance
oder des Barocks höchst oberflächlich beur-
teilen, wenn man durch Hervorhebung der
Schloß- und Palastbauten etwa eine Parallele mit
unserer Zeit konstruieren wollte. Zeitepochen
sind überhaupt unvergleichbare Größen, und
daß die Züge von Ungläubigkeit oder Weltlich-
keit der Renaissance oder des Barocks nur Teil-
erscheinungen sind und mit der radikalen Ver-
schreibung an das Tellurische unserer Zeit gar
nichts gemein haben, sollte nicht besonders be-
tont werden müssen.

Wenn auf der Denkmalpflegertagung geglaubt
wurde, der immer wieder erhobenen Forderung
nach Ehrfurcht vor den großen, uns über-
kommenen Denkmälern dadurch entsprechen
zu können, daß nur erste schöpferische Kräfte
ihre Hände an diese Zeugen der Vergangenheit
legen sollten, so fehlte dabei die nötige, ehrliche
Selbstbesinnung, daß diese Architekten beim
allerbesten Willen einfach nicht in der Lage sein
können, durch etwaige Neubauten etwas Blei-
bendes zu leisten. Und auf das Letztere kommt
es fraglos an. Denn sowenig es eine Frage ernst-
lich sein kann, daß uns heute geglückt erschei-
nende Kirchenbauten schon in einer, höchstens
in zwei Generationen als unmögliche und zu be-
klagende Gebilde angesprochen werden, so
wenig würde ein radikaler Neubau etwa am
Kölner Dom, auch wenn wir ihm aus ehrlicher
Überzeugung unsere Bewunderung nicht ver-
sagen könnten, Bestand haben können. Wir
sind uns heute alle einig, daß Fabriken nicht
wie Renaissancepaläste angelegt werden und daß
Eisenbrücken keine Renaissance oder andere
Ornamente nötig haben und wir verurteilen die
Zeiten, die diese Einsichten nicht hatten. Ganz
genau der gleiche Fall liegt hier vor, wenn ein
rein aus den Industriebauten entwickelter „Stil",
wenn man ihn überhaupt so nennen will, eine
Verbindung mit einem Bauorganismus eingehen
würde, der mit einemlndustriebau genau sowenig
zu tun hat wie eine Fabrik mit einem Palais.

Keineswegs, weil das archäologische Interesse
an den historischen Denkmälern überwiegen soll,
sondern allein, weil unsere Zeit, d. h. die allein
in Betracht kommenden führenden Architekten
einfach nicht in der Lage sind, eingreifendere
Neubauten, die bleibenden Wert haben können,
zu schaffen, bleibt vorerst nichts andres übrig,
als die bestehenden Denkmäler solange wie
möglich in dem Zustande zu konservieren, in
dem sie uns überkommen sind..... habicht.
 
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