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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Gottlieb, A.: Aristide Maillol - Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0263

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ARISTIDE MAILLOL

»SITZENDE FRAU«

ARISTIDE MAILLOL-PARIS

Seit Michelangelo hatte die Plastik für die
Kultur ihrer Zeit nie mehr jene große Be-
deutung inne, die sie um die Wende des 20.
Jahrhunderts mit Rodin gewann. Wieder war
sie wie damals vollgültiger Ausdruck eines eigen-
artigen Weltempfindens und dies in einem Maße,
das von keiner anderen Kunstart überboten
wurde. Die Hingebung an das Leben als solches,
die Gier seine Phänomene zu fassen, die Ver-
götterung der Bewegung, von der das moderne
Weltbild so erfüllt ist, daß für Stabiles kaum noch
ein Schlupfwinkel übrig bleibt, sind nirgends,
es sei denn in der Geheimsprache der Wissen-
schaft, beredter zu Worte gebracht, als in den
Werken des Meisters von Meudon, dem Model-
lierung höchste Spitze einer im Stein von innen
nach außen drängenden Wellenbewegung be-
deutete. Daß dabei die Skulptur in eine höchst
gefährliche Lage geriet, ward allerdings bald
nur allzu deutlich. Durch einen genialen Willen
von einer Kunst, die das Sein darstellt, zum
Ausdruck flutenden Werdens gemacht, gab sie

das Letzte hin; wurde illusionistisch, visionär,
malerisch. Völliger Zusammenbruch drohte, war
der Magier nicht mehr da, der ihr den Tod gab,
um ihr aus ihm erhöhtes Leben zu gewinnen.

Die Bildhauerei sah sich genötigt, um ihr Da-
sein zu kämpfen. Zweierlei war möglich: durch
Einbauung neuer, dem modernen Weltgefühl
konformer, Prinzipien ihre Möglichkeiten zu er-
weitern, oder Umkehr zu künden. Beiderlei
geschah. Den einen galt es, durch Experimente
Neuland zu erobern. Den anderen, die Ent-
wicklung der letzten Epoche, die in Rodin kul-
minierend, sich in seinem Schaffen unverkenn-
bar als Auflösung entpuppte, mit kühnem Ent-
schluß zu annullieren und jene Grundlagen
wiederzufinden, die einst der Skulptur ihre Blüte
gewährleisteten. Scharten sich die Vorwärts-
stürmer um Archipenko, so erkannten die rück-
schauenden Elemente als Mann der Vorsehung
einen Künstler, der bisher unbeachtet, aus eigen-
stem Wesen schöpfend jene Art der Kunst tä-
tigte, an der ihrem Glauben nach, die schwer-

iXXlV. Januar 1931. 4
 
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