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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 67.1930-1931

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Schiebelhuth: Stoff-Trieb und Form-Trieb
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https://doi.org/10.11588/diglit.7202#0276

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Stoff- Trieb und Form - Trieb

porzellan-manufaktur—berlin

»durchbrochene schalen« um 1800

mag alles können, wenn er nicht Welt mitzu-
teilen hat, wird seine Leistung wertlos. Hin-
gegen könnte ein Mensch Welt im Überfluß
haben, wenn ihm die Möglichkeit entsprechender
Äußerung versagt wäre, wäre er eben kein
Künstler. Eine vernünftige Kunsttheorie wird
also fordern dürfen, daß der persönliche Ge-
staltungswille des Künstlers seiner Freude am
Weltstoff und an dessen immanentem Gestal-
tungsgesetz gerecht wird, daß Formtrieb und
Stoffsinn bei der Gestaltung in einem vernünf-
tigen Verhältnis zu einander stehen. Die Frage
allerdings, wann dieses Verhältnis von Was und
Wie gesund sei, ist oft strittig. Von jeher hat
es Künstler gegeben, bei denen die Freude an
der schönen Prägung überwog, und wieder
andere, die so von Welt besessen waren, daß
sie das Wie der Äußerung notwendig vernach-
lässigten. Es hat nacheinander und nebenein-
ander formalistisch bestimmte und stofflich ge-
richtete Kulturen und Epochen gegeben, so wie
es wohl auch immer formsüchtige und stoff-
hungrige Individuen geben wird.

Unsere Zeit ist ihrer Anlage nach im Ganzen
antiformalistisch eingestellt. Der heutige Mensch
zieht fraglos die Äußerung eines echten Welt-

erlebens, auch wenn sie gestammelt ist, einem
formvollendet vorgebrachten Gemeinplatz vor.
Der anspruchslose Bericht, der Gesinnung hat,
ist uns unendlich viel lieber als die hübsch ge-
reimte Artigkeit, das graziöseste Geklüngel, die
geschliffene Phrase. Wir mißtrauen dem bloßen
Können, der begabten Spielerei, der brillanten
Technik, vielleicht schon deshalb, weil wir
wissen, daß diese Dinge zum großen Teil er-
lernbar sind, und erkannt haben, daß Erlern-
bares zuweilen nichts als Fingerfertigkeit be-
deutet. Darüber hinaus aber bleibt bestehen,
daß die Moderne sich tatsächlich mit einer Neu-
setzung des Was, also des Weltwesens, be-
schäftigt. Dieses Phänomen ist ein deutliches
Zeichen unserer geistigen Gesundheit. Es ist
nicht so zu lesen, daß die Zeit im Prinzip form-
feindlich ist, sondern dahin zu verstehen, daß
sie sich das Formproblem neu stellt. Der For-
malist bemächtigt sich des Formguts von Gestern
und wuchert mit ihm. Unser Zeitgeist aber drängt
zu neuer Schlichtung, zu neuer Schlichtheit. Wir
verstehen Form nicht als äußere Bindung, son-
dern als inneres Schaffensgesetz. Der Künstler
von heute freut sich an der Tat des Formens,
nicht an der Tatsache der Form, schiebelhuth.

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