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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 9.1934

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Wagenfeld, Wilhelm: Qualität und Wirtschaft: Vortrag von Wilhelm Wagenfeld, Weimar, gehalten vor der Mitgliedsversammlung des DWB, Landesbezirk Brandenburg-Pommern, am 4. Dezember 1933
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https://doi.org/10.11588/diglit.13712#0008

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Nehme sich das Handwerk seine Vorfahren zum Vorbild: sie
schufen Zeitgemäßes, sie arbeiteten aus ihrer Zeit für ihre
Zeil-. Das war ihre Tradition. Ihre Vorbilder gab ihnen die
Welt, in der sie lebten und nicht das Museum.

Schöpfe das Handwerk aus unserer Zeit. Schaffe es in der
Gegenwart mit ihren lebendigen Aufgaben für uns und unsere
Zeit! Resignation ist der Tod, Klagen und Betteln der Untergang.

Wo das Handwerk wirbt, da zeige es sein lebendiges
Schaffen, da stelle es sich in unsern Tag, ganz und gar. Leben
will nur sein, wo Leben ist und kein hohler Firlefanz von alten
Emblemen. Dergleichen mag vertrockneten Heimatschützlern
und armseligen Spießern eine Befriedigung sein — das Leben
ist anders.

Maschine und Handwerk sind nebeneinaneder und inein-
ander verwoben in unserer Zeit.. — Die Wirtschaft gab oft
ein anderes Bild: Maschine und Handwerk im endlosen Kampf,
bis das Handwerk vernichtet ward und zerstört. — So schien
es oft. — Aber das war nur ein Trugbild der Wirfschaft, die
uns alle zu Sklaven will, uns und unsere Maschinen und unser
Handwerk. Die Wirtschaft ist es, die alle Länder der Erde zu
ihren Kolonien macht. Die Wirtschaft ist es, die wie ein
drohendes Gespenst uns gegenübertritt. Erkennen wir in ihr
das Gebilde, das sie ist, belastet mit allen Schwächen und
Stärken unseres eignen Daseins, dann werden wir auch Herr
dieses Apparates, dann können wir ihn umformen und bilden
nach unserem Willen für unsere Aufgaben und für unser Ziel.

Die Aufgabe des Deutschen Werkbundes ist
das Neuschaffen einer Werkkultur. Die Aufgabe blieb sich
immer gleich. Das Ziel ist noch immer fern, obwohl der Kampf
nicht vergeblich geführt wurde. Wir waren ja auch nicht immer
klar über den Weg. Wir sind viel zu jung, viel zu lebendig, um
klar zu sein. Aber wir lernten. Wir lernten aus Erfahrung, und
wir sahen: wo Phrasen aufkamen gegen die Wirtschaft, da
übernahm die Wirtschaft die gleichen Phrasen für ihren Zweck,
für die Steigerung ihrer Umsätze, wo Weltanschauungen in den
Vordergrund gedrängt wurden, da übernahm die Wirtschaft
die Thesen als neues Aushängeschild für die gleichen Waren.

„Deutsche Wertarbeit", las ich in den Fenstern eines Wei-
marer Kaufhauses. Und was war diese „Deutsche Wertarbeit?"
Schürzen für 95 Pfg., Glasteller in denen Schliffmuster nach-
gepreßt waren, Porzellane, die billige Rokokoabziehbilder
trugen und Porzellane, die als „vornehme Tafelgeschirre" nur
hohler Tand waren und nicht mehr als das.

Dann ein anderes Geschäft, ein Einheitspreisgeschäft in der
gleichen Stadt: An allen nationalen Feiertagen prangt es im
Kranz- und Flaggenschmuck. „Deutsch und christlich" steht über
dem Eingang. Und die Ware? Lauter Schund, den Menschen-
hände erzeugten und Fabriken, weil sie leben wollten und
nicht mehr als das. Wir wissen ja alle, wie diese 50-Pfg.-Artikel
entstehen und wir wissen alle, welchen Nutzen sie haben:
sie bringen Geld in den Umlauf, und sie sichern so die hohle
Vegetation des Menschen — des Arbeiters, des Unternehmers,
des Großhändlers, des Verkäufers.

Wenn die Wirtschaft von Tradition spricht, dann sollten wir
vorsichtig sein, denn ihre Tradition ist das Geld. Wenn die

Wirtschaft von Qualität spricht, dann sollten wir doppelt vor-
sichtig sein, denn ihre Qualität ist es, Material und Arbeit in
Geld zu verwandeln. Und wenn die Wirtschaft von deutscher
Wertarbeit spricht, dann ist dies immer ein unwürdiger und
schändlicher Mißbrauch nationalen Empfindens. Wir sollten
uns dagegen wehren, wenn diese Reklame nicht schon einen
verlogenen Klang hätte.

Was heute noch lärmt und tobt in solchen Phrasen, das wird
bald nicht mehr sein. Aus dem Wirtschaftschaos muß ein
Wirtschaftsorganismus werden, der unser Leben durchflutet.
Aus dem verantwortungslosen Tun und Treiben des Menschen-
denkens und der Menschenhände wird ein klares verantwor-
tungsbewußtes Handeln.

Viele begannen diesen Weg. Viele zeigten ihn. Ihr Wirken
und Handeln war kaum vernehmbar im Lärm und Chaos der
Zeit. Aber langsam bahnten sie den Weg und von überall
kamen die Menschen, die sich auflehnten gegen dies Sklaven-
dasein. Alle standen an ihrem Platz und wirkten für eine
kommende Zeit. Sie alle wußten: die Wirtschaft kann die
Kultur eines Volkes zerstören und sie kann Mitträgerin und
Verbreiterin der Kultur sein, es kommt nur auf die Menschen
selbst an, auf den Weg, den sie gehen.

Die Wirtschaft zerstören, heißt das Leben der Nation ver-
nichten, denn die Wirrschaft ist ihr Puls. Füllen wir diesen
Puls mit unserm Leben, zerstören wir die zersetzenden Kräfte
in ihm durch unser Dasein, dann ist die Wirtschaft Mitträger
der Kultur, dann ist sie Mitschöpfer und Verbreiter einer neuen
Werkkultur unserer Zeit.

Der Weg ist einfach. Er ist nur langsam und zäh, eine
endlose Kleinarbeit aller.

Würde man den Schund verbieten, dann wäre das Bedürfnis
nach Schund damit noch nicht getötet. Das Bedürfnis ist da,
und es sichert Millionen das Leben. Würden wir heute nur
die guten Erzeugnisse im Handel dulden, dann würde eine
große Absatzstockung im Handel eintreten, weil diese Erzeug-
nisse nur eine kleine Käuferschicht gebrauchen kann. Wir
müssen die Lebensgewohnheiten und die
Lebensansprüche der Käufer ändern.

Bei den Kindern ist zu beginnen. Ihre Schulen müssen das
Vollkommenste unserer Zeit sein. Die Bücher, mit denen die
Kinder umgehen, müssen planmäßig auf die Erziehung zu
bewußten und an die Umwelt anspruchsvollen Menschen ein-
gestellt sein. Diese Bücher sollten weniger moralische Sen-
tenzen haben, welche Kinder nur langweilen oder zu Heuch-
lern erziehen, sie sollten lebendig vom Schaffen und Wirken
des Volks erzählen.

Und die Bilderbücher: Könnten diese besser und schöner sein,
als all der Schund, den Konjunklurbetriebsamkeit erfindet,
wenn sie erzählen würden vom Werden des Christbaum-
schmucks oder vom Tisch und seiner Entstehung? Ohne Ver-
logenheit müssen solche Bücher sein. Märchen machen sich
die Kinder selbst daraus.

Dann die Fortbildungsschulen: Jeder, der sie kennt, weiß
auch, wie tot und leblos solche Schulen noch immer sind. Die
Kunstgewerbeschulen, die überall längst Handwerkerschulen

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