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Menge fern. Waren Bürgermeister und Rat, Obermeister
und Viertelsmeister gewählt, und wer sonst noch von den
Bürgern bestallt wurde, war die Steuer ausgeschrieben und
bezahlt, die Last der Einquartierung getragen, so endete die
politische Erregung. Kein Wanderredner berichtete von den
Vorgängen im Staat und draußen in der Welt; selten brachte
eine Zeitung Kunde, und auch diese blieb in der Hand
weniger. Das Leben drehte sich zumeist im engen Kreis, zu-
frieden in der von den Philosophen empfohlenen Genüg-
samkeit. Die Abwechslung im Dasein war gering. Wohl
brachte die Post Durchreisende und Gäste. Der peitschen-
knallende Fuhrmann, der singende Handwerksbursch, der
Hausierer kamen die Straße daher und erzählten von den
Dingen draußen in der weiten Welt. Oder der heim-
kehrende Soldat berichtete von den Plagen im Dienst oder
gar von den Gefahren und Nöten des Krieges in Ungarn
gegen den unaussprechlichen Türken, in Polen gegen den
Schweden, am Rhein gegen den Franzosen, von den Kämpfen
vor Mainz und Stralsund. Und man verglich diese wohl
mit den Bedrückungen aus der Zeit der Väter während des
Dreißigjährigen Krieges und beim Einfall Karls XII. von
Schweden.

Dann kehrt man abends froh nach Haus

Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Dem Großstädter von heute fährt ein Schrecken in die Glie-
der, wenn er in die Kleinstadt versetzt werden soll. Die ist
aber nicht mehr dieselbe, die sie einst war. Aus den sächsi-
schen Städtchen Wittenberg und Weimar ging das Licht
deutschen Wesens auf. Es trägt die Spuren seiner Ursprungs-
orte: in der äußeren Beschränkung die innere Tiefe, statt des
grellen Lichtes die lebendige Wärme, statt sich häufenden
Anregungen stilles Besinnen, statt der Vielheit der Eindrücke
für jung und alt Lebendigkeit des Erlebens — und in warm-
herziger Besonnenheit der Verkehr mit den letzten Gedan-
ken des Weltendaseins.

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