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Das Handwerk

In den öffentlichen Sammlungen, den Schlössern und Kirchen,
in Rat- und Bürgerhäusern bekunden zahlreiche Handwerks-
erzeugnisse die Höhe des künstlerischen Könnens des Barock
und Rokoko. Gewiß ist vieles Minderwertige im Laufe der
Zeiten zugrunde gegangen und hat sich vorzugsweise das
Beste erhalten. Aber doch offenbart sich ein Hochstand des
Könnens, der sich über das ganze Land verbreitete.

Es überrascht mithin, daß in zeitgenössischen Berichten sich
ein ganz anderes Bild von der Lage des Handwerks darstellt,
anders auch, als dies gemeinhin als richtig angenommen wird.
Laut sind die Klagen über den Tiefstand, über die Schäden
in den Zünften, über die gesellschaftliche Stellung des Hand-
werkers. Die Lehrlinge, so heißt es, lernen nichts, da sie
zum Gänsehüten und Kinderwarten verwendet werden. Leib
sagt, in Deutschland würden zum Erlernen des Handwerks,
das Land und Leute reich und mächtig macht, „lauter dumme
Narren und Ochsenköpfe“ gebraucht, als gehöre mehr dazu
für den Bauern einen Hochzeitsbrief oder eine Eingabe an den
Richter zu schreiben, als zur Handwerkskunst. Alles dränge
sich zu den gelehrten Berufen, die doch keine der Allgemein-
heit dienliche Arbeit liefern, also nach der wirtschaftlichen
Auffassung der Zeit Drohnen im Staatsganzen sind. Die
Universitäten seien „mit einem nichtsnutzigen, eitlen, bösen
Gesindlein“ angefüllt, das unter dem „Praetext der Studien
ein privilegiertes Leben führe“. Später würden die jungen
Leute Müßiggänger, die dem Staate nichts nützen, wohl aber
ihn berauben; und doch werde jeder Tintenlecker höher ge-
achtet als der Handwerksmann. Da dieser nicht im Lande
sein Fortkommen finde und wisse, wie angesehen er ander-
wärts sei, „bedanke er sich für die Herberge in Deutschland“
und ziehe nach Holland oder Frankreich. Kommt aber ein
fremder Künstler ins Land und verdiene mehr als andere, so
fällt man über diesen Fettmacher her, wie die Raben über
das Aas.

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