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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0057
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ARISTOTELES
Viele Lebewesen haben Gedächtnis, Erinnerung aber
hat nur der Mensch*

Öftere Übung stärkt das Gedächtnis durch den Beitritt der
Erinnerung. Sie ist nichts anderes, als daß man oft etwas als
Bild ansieht, nicht als ein Ding für sich.
So ist denn erklärt, was Gedächtnis und Behalten ist: ein
Habitus oder ein Besitz des Phantasma als Bildes dessen,
worauf das Phantasma geht, und welchem inneren Vermö-
gen es angehört: dem ersten Sinnes vermögen, dem Zentral-
sinn, mit dem wir auch die Zeit erfassen.
Erinnerung ist weder Wiedergewinnung des Gedächtnis-
ses, noch erstmalige Gewinnung einer Erkenntnis.
Denn wenn man etwas zum ersten Male lernt oder wahr-
nimmt, so ist das keinerlei Wiedergewinnung des Gedächt-
nisses. Denn es ist keines vorausgegangen.
Aber durch das Gedächtnis gewinnt man auch keine erst-
malige Erkenntnis, sondern wenn der Habitus und die Af-
fektion eingetreten ist, dann erst stellt sich das Gedächtnis
ein, so daß es sich also nicht zusammen mit dem Eintritt der
Affektion einstellt.
Aber auch wenn sie eben in einem unteilbaren und letzten
Moment eingetreten sind, sind zwar Affektion und Wissen-
schaft in dem Affizierten da, wenn man den Habitus und die
Affektion Wissenschaft nennen soll - kann man doch auch
einiges, was man weiß, mitfolgend im Gedächtnis haben -,
aber an und für sich ist das Gedächtnis nicht da vor dem
Verlauf einer Zeit. Denn man gedenkt jetzt dessen, was man
früher gesehen oder erlitten hat, nicht gedenkt man jetzt
dessen, was man jetzt erlitten hat.
De memoria et reminiscentia 4513-4533 (4. Jh. v.u.Zt.)
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