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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0065
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AURELIUS AUGUSTINUS
Im Hause des Erinnerns begegne ich mir selbst*

Und so komm ich zu den Gefilden und weiten Hallen des
Gedächtnisses, wo Schätze aufgehäuft sind ungezählter Bil-
der, die meine Sinne von den Dingen mir zusammentrugen.
Dort auch ruht alles aufbewahrt, was wir nur denken, da
wir, was unsre Sinne aufgenommen, mehren, mindern oder
sonstwie ändern; und auch alles andre, was wir dort zur
Aufbewahrung niederlegten, ruht dort, bis das Vergessen es
verschlungen und zu Grab getragen hat. Und wenn ich nun
in diesem Lande bin und fordere, daß man mir bringe, was
ich will, so wird es beigeschafft, das eine alsbald, anderes
laßt sich länger suchen und so, als müßt es aus entlegnen
Kammern erst hervorgezogen werden; und wieder andre
Bilder kommen gleich zu Haufen, und wird ein anderes ge-
fordert und gesucht, so drängen sie sich vor, als sagten sie:
sind es nicht wir vielleicht? Ich aber mit der Hand des Gei-
stes treibe sie vom Angesichte der Erinnerung, bis, was ich
will, entnebelt wird und aus dem Dunkeln mir ins Helle
steigt. Wieder andre, die gefordert werden, kommen leicht
und wohl in Reih geordnet, und was vorausgeht, macht dem
Platz, was nach ihm kommt, und sinkt, da es ihm Platz
macht, wieder ins Verborgene, bereit zu kommen, wenn ich
rufe. Dies alles geht vor sich, wenn ich etwas aus der Erinne-
rung erzähle.
Dort ist alles nun genau nach seiner Art geschieden und
geordnet und so, wie jedes seinem eignen Weg nach in die
Seele kam, das Licht und Form und Farbe aller Dinge durch
die Augen, durch die Ohren jede Art von Schall und Laut,
Gerüche durch die Nase und durch das Tor des Mundes jede
* Confessiones X, 8-9 (397/398)
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