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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0129
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EDMUND HUSSERL
Ansiebt des vergegenwärtigenden Bewußtseins1'

Daß zwischen der wiedervergegenwärtigenden Erinnerung
und der primären Erinnerung, welche das Jetztbewußtscin
extendiert, ein gewaltiger phänomenologischer Unter-
schied besteht, das zeigt ein aufmerksamer Vergleich der
beiderseitigen Erlebnisse. Wir hören etwa zwei oder drei
Töne und haben während der zeitlichen Extension des Jetzt
ein Bewußtsein von dem eben gehörten Ton. Evidenterma-
ßen ist dieses Bewußtsein im Wesen dasselbe, ob aus der
tonalen Gestalt, die die Einheit eines Zeitobjektes bildet,
noch ein Glied wirklich als jetzt wahrgenommen wird, oder
ob das nicht mehr statthat, sondern das Gebilde nur noch
retentional bewußt ist. Nehmen wir nun an, es werde viel-
leicht, während die kontinuierliche Intention auf den eben
gehörten Ton oder tonalen Verlauf lebendig ist, dieser selbe
noch einmal reproduziert. Den Takt, den ich eben noch ge-
hört habe und auf den meine Aufmerksamkeit noch gerich-
tet ist, vergegenwärtige ich mir, indem ich ihn innerlich
noch einmal nachvollziehe. Der Unterschied springt in die
Augen. In der Vergegenwärtigung haben wir nun den Ton
oder die Tongestalt mitsamt ihrer ganzen zeitlichen Exten-
sion noch einmal. Der vergegenwärtigende Akt ist zeitlich
genau so extendiert wie der frühere Wahrnehmungsakt, er
reproduziert ihn, er läßt Tonphase für Tonphase und Inter-
vall für Intervall ablaufen, er reproduziert dabei auch die
Phase der primären Erinnerung, die wir für den Vergleich
ausgewählt hatten. Dabei ist er nicht eine bloße Wiederho-
lung, und der Unterschied besteht nicht etwa bloß darin,
daß wir einmal eine schlichte Reproduktion haben und das
Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1928)
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