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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0083
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JOHN LOCKE
Bestandsaufnahme im Magazin
der schlummernden Bilder^

i. Die nächste Fähigkeit des Geistes, die ihm zum weite-
ren Fortschreiten zur Erkenntnis verhilft, ist das, was ich
die Erinnerung nenne, das heißt das Festhalten jener einfa-
chen Ideen, die er durch Sensation oder Reflexion gewon-
nen hat. Das vollzieht sich auf doppelte Weise.
Erstens dadurch, daß der Geist die ihm zugeführte Idee
eine gewisse Zeit hindurch tatsächlich im Auge behält, was
wir Betrachtung nennen.
2. Die zweite Art der Erinnerung besteht in der Kraft, im
Geiste solche Ideen wieder hervortreten zu lassen, die nach
ihrer Einprägung verschwunden oder gleichsam beiseite ge-
legt und dem Blick entzogen waren. Wir verfahren auf diese
Weise, wenn wir uns Wärme oder Licht, gelb oder süß vor-
stellen, nachdem das Objekt entfernt worden ist. Dies ist
das Gedächtnis, das sozusagen die Vorratskammer unserer
Ideen darstellt. Denn da der beschränkte Geist des Men-
schen nicht fähig ist, mehrere Ideen gleichzeitig vor Augen
zu haben und zu betrachten, so benötigt er einen Aufbe-
wahrungsort für solche Ideen, die er zu anderer Zeit viel-
leicht brauchen würde. [...] Auf diese Weise also, das heißt
durch den Beistand dieser Fähigkeit, kann man sagen, daß
wir in unserm Verstände alle die Ideen haben, die wir uns,
obwohl wir sie gegenwärtig nicht betrachten, doch vor Au-
gen führen, wieder erscheinen lassen und zum Objekt unse-
rer Gedanken machen können, auch ohne die Hilfe jener
sensiblen Qualitäten, die sie ursprünglich dem Verstand
eingeprägt haben.
An Essay Concerntng Human Understanding II 10 (1690)
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