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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0103
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SÖREN KIERKEGAARD
Unglück der Erinnerung — Glück der Wiederholt

Die Liebe der Erinnerung ist die einzige glückliche, hat ein
Schriftsteller' gesagt. Damit hat er auch vollkommen recht,
wenn man sich nur daran erinnert, daß sie zunächst einmal
den Menschen unglücklich macht. Die Liebe der Wiederho-
lung ist in Wahrheit die einzige glückliche. Sie kennt ebenso
wie die der Erinnerung nicht die Unruhe der Hoffnung,
nicht die beängstigende Abenteuerlichkeit der Entdeckung,
aber auch nicht die Wehmut der Erinnerung, sie hat des Au-
genblicks selige Sicherheit. Die Hoffnung ist ein neues
Kleid, steif und stramm und glänzend, man hat es jedoch
niemals angehabt, und weiß darum nicht, wie es einen klei-
den wird oder wie es sitzt. Die Erinnerung ist ein abgelegtes
Kleid, welches, so schön es ist, nicht mehr paßt, da man aus
ihm herausgewachsen ist. Die Wiederholung ist ein unver-
schleißbares Kleid, welches fest und zart sich anschmiegt,
weder drückt noch schlottert. Die Hoffnung ist eine lieb-
liche Maid, die den Händen entschlüpft; die Erinnerung ist
eine schöne alte Frau, mit der man jedoch im Augenblick
nichts anzufangen weiß; die Wiederholung ist ein geliebtes
Eheweib, dessen man niemals leid wird; denn allein des
Neuen wird man leid. Des Alten wird man niemals leid; und
wenn man es vor sich hat, wird man glücklich; und so recht
glücklich wird allein der, welcher sich selbst nicht mit der
Einbildung betrügt, daß die Wiederholung etwas Neues
sein werde. Denn alsdann wird man ihrer leid. Es gehört
Jugend dazu, um zu hoffen, Jugend dazu, um sich zu erin-
nern, aber es gehört Mut dazu, die Wiederholung zu wol-
len. Wer nichts als hoffen will, ist feige; wer nichts als sich
* DU Wiederholung (1843)
 
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