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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0097
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IMMANUEL KANT
Phantasie und Gedächtnis sind streng zu scheiden'''

Das Gedächtniß ist von der blos reproductiven Einbil-
dungskraft darin unterschieden, daß es die vormalige Vor-
stellung willkürlich zu reproduciren vermögend, das Ge-
müth also nicht ein bloßes Spiel von jener ist. Phantasie, d. i.
schöpferische Einbildungskraft, muß sich nicht darein mi-
schen, denn dadurch würde das Gedächtniß untreu. - Et-
was bald ins Gedächtniß fassen, sich leicht worauf besinnen
und es lange behalten, sind die formalen Vollkommenheiten
des Gedächtnisses. Diese Eigenschaften sind aber selten bei-
sammen. Wenn jemand glaubt etwas im Gedächtniß zu ha-
ben, aber es nicht zum Bewußtsein bringen kann, so sagt er,
er könne es nicht entsinnen (nicht sich entsinnen; denn das
bedeutet so viel, als sich sinnlos machen). Die Bemühung
niebei ist, wenn man doch darauf bestrebt ist, sehr kopfan-
greifend, und man thut am besten, daß man sich eine Weile
durch andere Gedanken zerstreut und von Zeit zu Zeit nur
flüchtig auf das Object zurückblickt; dann ertappt man ge-
meiniglich eine von den assoeiirten Vorstellungen, welche
jene zurückruft.
Methodisch etwas ins Gedächtniß fassen heißt memoriren
(nicht studiren, wie der gemeine Mann es von dem Prediger
sagt, der seine künftig zu haltende Predigt blos auswendig
lernt). - Dieses Memoriren kann mechanisch, oder ingeniös,
oder auch judieiös sein. Das erstere beruht blos auf öfterer,
buchstäblicher Wiederholung: z.B. beim Erlernen des Ein-
maleins, wo der Lernende die ganze Reihe der auf einander
■n der gewöhnlichen Ordnung folgenden Worte durchge-
hen muß, um auf das Gesuchte zu kommen, z. B. wenn der
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht I i (1798)
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