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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Die Erfindung des Gedächtnisses — Frankfurt am Main, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.2940#0115
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HENRI BERGSON
Das Gedächtnis des Körpers*

Die Erinnerung der auswendig gelernten Aufgabe hat alle
Merkmale einer Gewohnheit. Wie eine Gewohnheit wurde
sie durch Wiederholung derselben Anstrengung erworben.
Wie eine Gewohnheit erforderte sie zuerst die Zerlegung
und alsdann die Wiederzusammenfügung der ganzen
Handlung. Und endlich hat sie sich, wie jede gewohnheits-
mäßige Übung des Körpers, in einem Mechanismus aufge-
speichert, den ein beginnender Impuls vollständig in Bewe-
gung setzt, in einem geschlossenen System automatischer
Bewegungen, welche einander in derselben Ordnung folgen
und dieselbe Zeit beanspruchen.
Im Gegensatz hierzu hat die Erinnerung einer besonde-
ren Lesung, der zweiten oder dritten zum Beispiel, gar
keine Merkmale der Gewohnheit. Das Bild derselben hat
sich schon beim erstenmal dem Gedächtnis eingeprägt, da ja
doch die weiteren Lesungen, schon der Definition nach,
verschiedene Erinnerungen bilden. Sie ist wie ein Ereignis
meines Lebens, dessen Wesentliches darin besteht, daß es
unter einen bestimmten Zeitpunkt fällt, und sich folglich
nicht wiederholen kann. Alles, was spätere Lesungen ihr
etwa hinzufügen, könnte nur ihre ursprüngliche Art verän-
dern; und wenn meine Bemühung, jenes Bild hervorzuru-
fen, in dem Maße, als ich sie wiederhole, leichter und leich-
ter wird, so war doch das Bild selbst, als solches betrachtet,
zuerst notwendigerweise das, was es immer sein wird.
Wird man nun sagen, daß diese beiden Erinnerungen, die
"er Lesung und die der Aufgabe, nur dadurch mehr oder
Weniger differieren, daß die durch jede Lesung allmählich

" Mattere et Memoire (i
 
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