ner Sache zu belasten wagt und sie selbst führt, damit sie nur
einmal geführt sei, ist anmaßend. Und dennoch weiß niemand
besser als ich, daß mir alles Talent fehlt, mitzutun, daß mich
auf jedem Schritt der absolute Mangel dessen hemmt, was un-
entbehrlich ist, um sich im Gedächtnis der Mitlebenden zu er-
halten, der Mangel an Konkurrenzfähigkeit. Aber ich weiß
auch, daß der Größenwahn vor der Bescheidenheit den Vorzug
der Ehrlichkeit hat und daß es eine untrügliche Probe auf seine
Berechtigung gibt: seinen künstlerischen Ausdruck. Darüber
zu entscheiden, sind freilich die wenigsten Leser sachverstän-
dig, und man ist auch hier wieder auf den Größenwahn ange-
wiesen. Er sprach: Selbstbespiegelung ist erlaubt, wenn das
Selbst schön ist; aber sie erwächst zur Pflicht, wenn der Spiegel
gut ist. Und jedenfalls wäre es sogar ehrlicher, zum dionysi-
schen Praterausrufer seiner selbst zu werden, als sich von dem
Urteil der zahlenden Kundschaft abhängig zu machen. Die
Journalisten sind so bescheiden, die Keime geistiger Saat für
alle Zeiten totzutreten. Ich bin größenwahnsinnig: ich weiß,
daß meine Zeit nicht kommen wird.
Meine Leser! Wir gehen jetzt zusammen ins zehnte Jahr, wir
wollen nicht nebeneinander älter werden, ohne uns über die
wichtigsten Mißverständnisse geeinigt zu haben.
Die falsche Verteilung der Respekte, die der Journalismus
durchführte, hat auch das Publikum zu einer verehrungswür-
digen Standesperson gemacht. Das ist es nicht. Oder ist es bloß
für den Sprecher, dem es die unmittelbare Wirkung des Worts
bestätigt, nicht für den Schreibenden; für den Redner und
Theatermann, nicht für den Künstler der Sprache. Der Journa-
lismus, der auch das geschriebene Wort an die Pflicht unmit-
telbarer Wirkung band, hat die Gerechtsame des Publikums
erweitert und ihm zu einer geistigen Tyrannis Mut gemacht,
der sich jeder Künstler selbst dann entziehen muß, wenn er sie
nur in den Nerven fühlt. Die Theaterkunst ist die einzige, vor
der die Menge eine sachverständige Meinung hat und gegen je-
des literarische Urteil behauptet. Aber das Eintrittsgeld, das sie
bezahlt, um der Gaben des geschriebenen Wortes teilhaft zu
werden, berechtigt sie nicht zu Beifalls- oder Mißfallsbezei-
gungen. Es ist bloß eine lächerliche Vergünstigung, die es dem
einzelnen ermöglicht, um den Preis eines Schinkenbrots ein
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einmal geführt sei, ist anmaßend. Und dennoch weiß niemand
besser als ich, daß mir alles Talent fehlt, mitzutun, daß mich
auf jedem Schritt der absolute Mangel dessen hemmt, was un-
entbehrlich ist, um sich im Gedächtnis der Mitlebenden zu er-
halten, der Mangel an Konkurrenzfähigkeit. Aber ich weiß
auch, daß der Größenwahn vor der Bescheidenheit den Vorzug
der Ehrlichkeit hat und daß es eine untrügliche Probe auf seine
Berechtigung gibt: seinen künstlerischen Ausdruck. Darüber
zu entscheiden, sind freilich die wenigsten Leser sachverstän-
dig, und man ist auch hier wieder auf den Größenwahn ange-
wiesen. Er sprach: Selbstbespiegelung ist erlaubt, wenn das
Selbst schön ist; aber sie erwächst zur Pflicht, wenn der Spiegel
gut ist. Und jedenfalls wäre es sogar ehrlicher, zum dionysi-
schen Praterausrufer seiner selbst zu werden, als sich von dem
Urteil der zahlenden Kundschaft abhängig zu machen. Die
Journalisten sind so bescheiden, die Keime geistiger Saat für
alle Zeiten totzutreten. Ich bin größenwahnsinnig: ich weiß,
daß meine Zeit nicht kommen wird.
Meine Leser! Wir gehen jetzt zusammen ins zehnte Jahr, wir
wollen nicht nebeneinander älter werden, ohne uns über die
wichtigsten Mißverständnisse geeinigt zu haben.
Die falsche Verteilung der Respekte, die der Journalismus
durchführte, hat auch das Publikum zu einer verehrungswür-
digen Standesperson gemacht. Das ist es nicht. Oder ist es bloß
für den Sprecher, dem es die unmittelbare Wirkung des Worts
bestätigt, nicht für den Schreibenden; für den Redner und
Theatermann, nicht für den Künstler der Sprache. Der Journa-
lismus, der auch das geschriebene Wort an die Pflicht unmit-
telbarer Wirkung band, hat die Gerechtsame des Publikums
erweitert und ihm zu einer geistigen Tyrannis Mut gemacht,
der sich jeder Künstler selbst dann entziehen muß, wenn er sie
nur in den Nerven fühlt. Die Theaterkunst ist die einzige, vor
der die Menge eine sachverständige Meinung hat und gegen je-
des literarische Urteil behauptet. Aber das Eintrittsgeld, das sie
bezahlt, um der Gaben des geschriebenen Wortes teilhaft zu
werden, berechtigt sie nicht zu Beifalls- oder Mißfallsbezei-
gungen. Es ist bloß eine lächerliche Vergünstigung, die es dem
einzelnen ermöglicht, um den Preis eines Schinkenbrots ein
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