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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0103

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die Straßen auseinander und beugte sich über den Bahnhof, wo
er nach einer Lokomotive griff. Darauf blies er wie auf einer
Mundharmonika, wuchs aber zusehends immer nach allen
Seiten, so daß ihm sein Spielzeug bald zu klein wurde. Da
brach er den großen Turm ab und schmetterte damit entsetzli-
che Drommetenstöße gegen den Himmel, schrecklich war sein
nackter Leib anzusehen. Jetzt entwickelte er sich ins Grenzen-
lose, grub einen Vulkan aus, an welchem noch ein schnecken-
förmig gewundener Granitdarm der Erde hing. Dieses giganti-
sche Instrument setzte er an seine Lippen - es dröhnte, daß das
Weltall erzitterte. Längst war die Stadt unter seinen Füßen ver-
schwunden. Aufgerichtet stand er da, seine oberen Körperteile
reichten in die Wolken, sein Fleisch war wie aus Hügeln zu-
sammengesetzt. - Er schien von Wut erfüllt! In der Ferne sah
ich ihn niederknien, Vogelscharen fingen sich in seinem langen
Haar. Er watete in ein Meer, das ihm kaum bis zu den Hüften
reichte, aber austrat und die ganze Erde überschwemmte. Mit
seinen ungeheuren Armen ruderte er in den Gewässern und
fing Schiffe und zappelnde Meerungeheuer. Zerquetscht warf
er alles wieder von sich. Er zertrat die Gebirge, die wie Lehm
aufspritzten, große Ströme ergossen sich in seine Fußstapfen.
Er wollte alles vernichten. Bis in die entferntesten Berghütten
spritzte er seinen siedenden Harn, daß die nichtsahnenden Be-
wohner, von dem Dampfe verbrüht, umkamen. Er stampfte in
der graugelben Sintflut herum, sein erregter Leib war von
Rauchwolken eingehüllt. Aus meilenweiter Entfernung warf er
Fäuste voll Menschen herüber, die als ein Leichenregen nieder-
sausten. Jetzt kam in einen gewaltigen Gebirgszug, der sich
von West nach Ost erstreckte, Bewegung. Ich sah, daß es der
schlafende Amerikaner war. Patera warf sich der Länge nach
auf diesen Feind; während sie rangen, kochte das Meer in
haushohen Wellen auf. Ich aber wußte mich in der Hand mei-
nes Schicksals und blieb ruhig.

Es war ein Blutozean, der sich, soweit meine Blicke schweif-
ten, da unten dehnte. Die purpurnen heißen Fluten stiegen
immer höher, meine Füße wurden von dem rosenfarbenen
Schaum der Brandung bespült. Ein ekelhafter Dunst stieg mir
in die Nase. - Das rote Meer trat zurück und verfaulte vor
meinen Augen; immer dicker und dunkler und schwärzer

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