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Harth, Dietrich [Editor]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0173

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in unseren Augen als natural oder als supranatural galt (selbst
diese Unterscheidung scheint nun zweitrangig geworden) als
gnädig erwiesen: jede uns immer nur partiell bedroht, jede nur
Einzelnes ausgelöscht: „nur" Menschen, „nur" Städte, „nur"
Reiche, „nur" Kulturen; aber uns - wenn wir unter „uns" die
Menschheit verstehen - doch immer weiter verschont. Kein
Wunder, daß der Gedanke einer totalen Gefahr eigentlich nicht
existierte; außer bei einer Handvoll von Naturphilosophen, die
mit der Idee einer kosmischen (etwa Kältetod-) Katastrophe
spielten; und bei jener Minorität von Christen, die das Welten-
de noch immer (aber eben nicht schon wieder) erwarteten.

Wie weit sich das geändert hat, also wie weit die Menschheit
heute wirklich apokalypse-bewußt ist, ist zwar zweifelhaft;
aber daß sie es sein müßte, das ist keine Frage. Denn von uns,
den kosmischen Parvenüs, den Usurpatoren der Apokalypse,
zu erwarten, daß auch wir jene Gnade walten lassen werden,
die, gleich ob aus Freundlichkeit, Indifferenz oder Zufall, die
Übermächte bis heute hatten walten lassen, dazu haben wir
wenig Ursache; vermutlich gar keine, da ja jene Männer, die
nun faktisch Herren des Unendlichen sind, diesem ihrem Ei-
gentum phantasie- oder gefühlsmäßig genau so wenig gewach-
sen sind wie wir, die prospektiven Opfer; und da sie unfähig
bleiben, ja unfähig bleiben müssen, in ihrem Gerät etwas ande-
res zu sehen als ein Mittel für endliche Interessen, wenn nicht
sogar für endlichste Parteiziele. Da wir Heutigen die ersten
Menschen sind, die die Apokalypse beherrschen, sind wir auch
die ersten, die pausenlos unter ihrer Drohung stehen. Da wir
die ersten Titanen sind, sind wir auch die ersten Zwerge oder
Pygmäen, oder wie immer wir uns kollektiv befristete Wesen
nennen wollen, die nun nicht mehr als Individuen sterblich
sind, sondern als Gruppe; und deren Existenz nur bis auf Wi-
derruf gestattet bleibt. -

An die Stelle des Satzes „Alle Menschen sind sterblich" ist
heute der Satz getreten: „Die Menschheit als ganze ist töt-
bar"

Eine Zeit liegt hinter uns, in der der natürliche Tod der un-
natürliche, mindestens der unalltägliche war; und in der der
Sterbende, der einfach verschied, als ein beneidenswerter Mann

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