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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0172

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hat. Das Wichtigste, was von unseren Eltern, den „letzten
Menschen", gegolten hatte, ist für uns Söhne, die „ersten Tita-
nen", ungültig geworden; ihre liebsten Gefühle sind uns bereits
fremd; und die Alternativen, mit deren Hilfe sie sich verstan-
den und ihr Dasein artikuliert hatten, schon außer Kurs.

Freilich, eine gewisse „unendliche Sehnsucht" existiert auch
heute; und sogar eine, die leicht zur Epidemie werden könnte;
aber sie ist keine, die heute noch lebendig wäre, sondern eine,
die gerade erst auszubrechen beginnt: das grenzenlose Heim-
weh nämlich nach der „guten alten" Weltzeit, in der wir recht-
schaffen endlich waren; also der verzweifelte maschinenstür-
merische Wunsch, das über Nacht erworbene (oder uns auf-
geladene) Titanentum wieder abzuwerfen und, wie in der aetas
aurea von gestern, wieder Mensch sein zu dürfen - eine höchst
zweifelhafte, äußerst gefährliche Sehnsucht also, weil sie, so-
lange sie nichts als Gefühl bleibt, den Fühlenden nur schwächt,
die Position jener dagegen, die die Allmacht effektiv in Händen
halten, bestärkt und kräftigt.

Aber wer hätte in jenen Zeiten, da Maschinenstürmerei als
wütender Protest hungernder Heimarbeiter gegen die konkur-
rierenden Apparate anhob, vorausgesehen, daß, was so begon-
nen, einmal ein Ausmaß annehmen würde, das in anderen als
mythologisierenden Worten nicht würde formuliert werden
können? Denn in einer anderen Formel als in der: „Der Titan,
der verzweifelt wieder Mensch sein will", könnte man diese
heutige Sehnsucht kaum mehr in Worte fassen. -

So befremdlich es klingt: erst durch ihre Übersiedlung in un-
sere Hände scheint die Omnipotenz wirklich gefährlich zu
werden. Immer hatte es früher einen Noah gegeben, immer
einen Loth. Jede bisherige Übermacht hatte sich, gleich, ob sie

Über den Boden aller Landschaften, auf allen Kontinenten In-
seln zwischen den aufblühenden und verwelkenden Bäumen,
zwischen den schnuppernden laufenden hungrigen und gesät-
tigten Tieren, bewegten sich die sterblichen Menschen. Fühl-
ten ihre Arme, die greifen konnten, nahmen die Säfte an, die
ihnen aus der Erde zuquollen. Und dann verdorrten sie. Alter-
ten erschlafften ergrauten.

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