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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0185

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auftauchen, oder von den Zahlenschlangen, die der Computer
auswirft.

Unser siebenköpfiges Ungeheuer hört auf viele Namen: Po-
lizeistaat, Paranoia, Bürokratie, Terror, Wirtschaftskrise, Rü-
stungswahn, Umweltvernichtung; die vier Reiter sehen aus wie
Westernhelden und verkaufen Zigaretten, und die Posaunen,
die den Weltuntergang ankündigen, dienen einem Werbespot
als Begleitmusik. Früher sahen die Menschen in der Apokalyp-
se die unerforschliche, rächende Hand Gottes am Werk, heute
erscheint sie als methodisch kalkuliertes Produkt unserer eige-
nen Anstrengungen, und die Geister, deren Wirken wir ihr
Herannahen zuschreiben, rufen wir selbst: die „Roten", die Öl-
scheichs, die Terroristen, die Multis; die Gnome von Zürich
und die Frankensteins der biologischen Labors; Ufos und Neu-
tronenbomben; Dämonen aus dem Kreml oder aus dem Pen-
tagon: eine Unterwelt unvorstellbarer Verschwörungen und
Machinationen, an deren Fäden die allmächtigen Kretins der
Geheimdienste ziehen.

Auch war die Apokalypse einst ein singuläres Ereignis, das
plötzlich, aus heiterem Himmel, zu gewärtigen war: eine un-
denkbare Weltminute; nur die Seher und Propheten konnten sie
vorausahnen, auf deren Warnungen und Weissagungen freilich
niemand hören wollte. Dagegen pfeifen unsern eigenen Unter-
gang die Spatzen von den Dächern; das Moment der Über-
raschung fehlt; er scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Wir
stellen uns ein schleichendes, quälend langsam voranschreiten-
des Verhängnis vor: die Apokalypse in Zeitlupe. Sie erinnert an
jenen ergrauten Klassiker der Stummfilm-Avantgarde, in dem
ein riesiger Fabrikschlot zu sehen ist, wie er geräuschlos auf
der Leinwand zerbricht und in sich zusammenstürzt, zwanzig
Minuten lang, während die Zuschauer, in einer Art schläfrigen
Komforts, sich zurücklehnen in ihren abgeschabten Samtses-
seln und Popcorn und gebrannte Mandeln knabbern. Nach der
Vorstellung betritt der Futurologe die Bühne. Er sieht aus wie
eine schlechte Imitation von Dr. Strangelove, dem Wahnsinni-
gen Wissenschaftler, nur daß er abscheulich fett ist. In aller
Gemütsruhe teilt er uns mit, daß der Ozongürtel der Atmo-
sphäre in zwanzig Jahren verschwunden sein wird, so daß wir
unfehlbar von der kosmischen Strahlung geröstet werden, falls
 
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