Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 41. HEIDELBERGER 1855.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Ludwig IV., genannt der Heilige^ Landgraf von Thüringen und Hes-
sen, und seine Gemalin, die heilige Elisabeth von Ungarn. Ein
geschichtliches Lebensbild aus dem Zeitalter Kaiser Friedrich’s II.
Von G. Simon, ev. luth. Oberpfarrer zu Michelstadt. XXXIII.
275. 8. Frankfurt bei BrÖnner. 1854.
Der Heiligendienst ist eine sinnige, häufig aber auch ausschwei-
fende Verschmelzung des antiken Heroenkultus mit der christlichen
Liebe und Mildthätigkeit, der Caritas. Wer sich neben den Apo-
steln und ihren nächsten Jüngern durch Hingabe des Bluts und
Guts um die Kirche verdient gemacht hatte, wurde anfangs durch
die Bischöfe und Kapitel, darnach seit Eugen dem Dritten aus-
schliesslich durch die Päpste in den anwachsenden Kreis der geist-
lichen Fürbitter und Nothhelfer aufgenommen, die Anrufung dersel-
ben als Tugendmittel empfohlen, bisweilen zur Pflicht gemacht. —
Das rauhe, halsstarrige Volk der Teutschen musste dabei länger
warten als der mehr gebildete, biegsame Nachbar im Westen. Wäh-
rend hier Ludwig IX. und in neuester Zeit Napoleon der Grosse
als Heilige glänzten, blieben dort mit Ausnahme des unbedeutenden
zweiten Heinrich die mächtigsten, ruhmvollsten Kaiser von der geist-
lichen Pärschaft ausgeschlossen. Denn dass Karl der Grosse jener
stillschweigend angereiht wurde, ist bekanntlich ein Werk Friedrichs
des Rothbart; man liess denn später geschehen, was nicht mehr ge-
ändert werden konnte. Bei steigender Spannung mit dem Enkel
suchte Gregor IX. das Versäumte nachzuholen; die Tochter des
UngarnkÖDigs Andreas II. und Gemahlin eines Thüringischen Land-
grafen wurde unter die Heiligen versetzt; der Elisabethkultus ent-
stand; seinen Mittelpunkt bildeten Marburg im Hessenlande und die
Wartburg bei Eisenach. — Man trachtet in der laufenden Gegen-
wart von verschiedenen Seiten her das erloschene, vom Strom der
Zeit fast ausgewaschene Bild möglichst wieder aufzufrischen; man
gebraucht dafür Pinsel, Federkiel, Predigt und Druckerpresse; man
beauftragt die Maler, verschiedene Scenen aus dem Leben der Hei-
ligen, reale wie ideale (wunderbare), an den Wänden des restaurirten
Schlosses darzustellen, indess der protestantische Hofprediger sie
auslegt. In einem Seitenbau tritt ihrerseits die neue Zeit auf; Lu-
ther erscheint in mehrfachen Stellungen; der Teufel, dem er das
Dintenfass an den Kopf wirft, wird auch nicht fehlen und der Pre-
diger, der Mann Gottes, die Auslegung geben. So sucht man sinn-
bildlich durch die Kunst zwei Zeiten zu verschmelzen, das Mittel-
alter und Reformationsjahrhundert. Letzteres anerkannte zwar die
Heiligen ohne Unterschied nicht mehr, aber es war eben in zu
radikalem Fortschritt begriffen und bedarf daher einer neuesten, dog-
XLVIII. Jahrg. 9. Heft. 41
 
Annotationen