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Kirchenrecht von Phillips und Schulte.

weis, selbst wenn er die gewöhnliche Logik für sich hätte, durch den
Eid erst zum vollständigen wird.*) Alle diese noch jetzt wirk-
samen Umstände müssen im canonischen oder Kirchenrecht erwogen
werden, und man wird auf diese Weise finden, dass die Geschichte
des ProQesses drei Perioden hat, wovon nur die mittlere die be-
deutungsvolle aber durchaus vernachlässigte ist durch die Schuld der
Canonisten: die justinianische, canonische und die seit dein jüngsten
deutschen Reichsabschiede. Alles, was in unsern Tagen über
Processfortbildung geschieht, sei es der abgekürzte schriftliche
Weg, oder der mündliche, sind nur äussere Formalitäten zum Zwecke
der Process-Erleichterungen und greifen keineswegs in das Innere
des Rechts- und Beweisverfahrens ein. Wenn nun auch die Dar-
stellung des Kirchenrechts auf alle Einzelnheiten der weltlichen
Ordnung sich nicht einzulassen braucht, so darf doch die Sache
nicht übergangen werden. Ja die Sache der Rechtsmittel, nament-
lich der Appellation**) selbst ist sogar ein rein kirchliches Mittel,
weil nur dadurch die hierarchia jurisdictionis aufrecht erhalten und
die Bedeutung des Pabstthums von der ersten Zeit der Geschichte
her erwiesen wird.***)
II. Ganz ähnliche Grundsätze finden bei dem Disciplinarprocess
statt. Sonderbar genug geht Phillips mit Beziehung auf Mo-
litor S. 642 seines Lehrbuchs davon aus, dass der canonische
Process auf der Grundlage des römischen Processes sich entwickelt
habe. Es ist eine bekannte Sache, dass bis auf Gregor d. Gr. in
Strafsachen, man möchte sagen, eine regellose Justiz waltete, wie
Phillips §. 186 im Eingänge selbst zugesteht. Ponsio erzählt die
frühesten Fälle, und Fessler, ohne Ponsio zu kennen f), construirt
dasselbe nach weitläufigen und gelehrten Untersuchungen. Also
ein römischer Process war hier nicht da. Die denunciatio des
canonischen Rechts hängt auch keineswegs mit dem römischen
Process zusammen f f): noch weniger die exceptio oder das notorium.
Im Decrete Gratians treten allerdings einige Spuren des römischen
Accusationsprocesses hervor: aber ganz unrömisch ist der cano-
nische Inquisitionsprocess. Ebensowenig gehört die purgatio des
canonischen Rechts hierher. Phillips fällt bald wieder in das
entgegengesetzte System: er geht auf die germanischen Sendge-

*) Der angetragene Eid erscheint nicht wie bei den Römern als Ver-
gleich, sondern als jus cogens.
**) Die Appellation sieht vielfach auf das römische Recht zurück, aber
canonisch ist die Lehre von der Stufenfolge der Rechtsmittel, namentlich
wenn ein Rescript ohne Vernehmung des andern Theils erlassen wird (ex-
ceptio sub-et obreptionis).
***) Sehr wichtig ist die Erörterung der zwei Constitutionen Clemens V.
in den Clementinen, denn nicht im römischen Recht, sondern im Interesse
der Kirche hat das abgekürzte oder summarische Verfahren angefangen, W’as
aber nicht hierher gehört.
f) Wien 1860.
ff) Marx de denunciatione juris canonici.
 
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