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Kirchenrecht von Phillips und Schulte.

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richte, Ordalien u. s. w. über. Auch nimmt er an, Innocenz III.
habe den Inquisitionsprocess geordnet: der in jener Zeit nicht durch
eine Constitution, sondern nur durch die Praxis mit Rücksicht auf
die infamatio und Gerichtsgebrauch wohl auch schon unter Ale-
xander III begründet war. Die Hauptsache aber ist die, dass der
Disciplinarprocess nichts Eigentümliches hatte, sondern in der
That dasselbe Verfahren war, wie wir es sub I geschildert haben.
Seit dem zwölften Jahrhundert gestaltete man den Accusations-
process, der aber fasst schon abgekommen war — ganz im Sinne
des Civilprocesses; den Inquisitionsprocess *) aber so, dass die eigent-
liche oder wie wir es jetzt nennen, Specialinquisition (im Gegen-
sätze der Information) von den Positionen ausging, und der Process
der Exceptionen oder besser Vertheidigungen getrennt geführt
wurde, wie überhaupt im II. Band der Decretalen der Exceptionen
oder Defensionenprocess. Die Neueren nennen dieses und zwar das
erste processus offensivus, das andere processus defensivus, wie wir
genügend in unserm canonischen Rechte ausgeführt haben. Phillips
hat wohl darauf verwiesen, aber offenbar, nachdem er seine Arbeit
bereits vollendet hatte. Wir waren genöthigt, diese kurzen Be-
merkungen zu machen, einmal, weil ältere und neuere Canonisten
diesen Gegenstand viel gründlicher darstellen, namentlich Devoti in
seinem grösseren Werke und Bouix in seinen freilich nur compi-
latorisch gegebenen Büchern; das andermal, weil bei den sonst
ausgezeichneten Darstellungen in Phillips Lehrbuche diese Ver-
hältnisse gleichsam vorgefasst gering gehalten wurden, und end-
lich diese seine Darstellung weder dem Studirenden noch dem
Praktiker dienen kann.
Endlich müssen wir noch anführen, dass überhaupt Phillips
dem Einflüsse des Kirchenrechts auf die weltliche Ordnung mehr
hätte Rechnung tragen müssen, auch im Privatrechte **), dann Völker-
rechte u. s. w. im eigentlich j uristis chen Sinne, namentlich von
dem Princip der christlichen Sittlichkeit, die an die Stelle des
römischen „honeste vive“ getreten ist: von uns aber soll hier nur
dasjenige in Betracht genommen werden, was Phillips ganz
zuletzt im Lehrbuche von dem Verhältnisse der Kirche zum Staate
abhandelt. Wir wissen freilich, wie er diese Sache grossartiger in
seinem Kirchenrechte selbst behandelt hat. Allerdings musste die
Kirche in nationelle Verhältnisse eintreten durch ihre Beziehung
zur Staatsgewalt. Philipp der Schöne in Frankreich eröffnete
die Reihen; zwar wurden auch schon früher Verträge zwischen der
Kirche und dem Staate abgeschlossen, z. B. das Calixtin’sche Con-

') Die Denunciation führte offenbar in den Incjuisitionsprocess.
'*) Z. B. der Rechtsbesitz in seiner vollen Ausdehnung ist cano-
nisch, jeder Servitutenbesitz erscheint jetzt als Rechtsbesitz im canonischen
Sinne u. s. w.
 
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