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Nitz sch: Zur epischen Poesie der Griechen.

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wahren Kritik auch in der homerischen Frage geltend zu machen
und der historischen Ueberlieferung zu ihrem Rechte zu verhelfen
sucht, das ihr eine hyperkritische Richtung zu verkümmern droht.
Das erste Buch, überschrieben: „Sage und Dichtung“ bringt
in einer Reihe von einzelnen unter zwei Abschnitten gebrachten
Erörterungen Beiträge zur Geschichte der griechischen Sage. Der
Verfasser geht hier von dem gewiss richtigen, an den Anfang seiner
Untersuchung gestellten Satz aus: „das eigenste Erzeugniss des
jugendersten von der Phantasie beherrschten Volksgeistes ist die
Sage, welche, indem sie zuerst als Volkssage entsteht, jedem äch-
ten Epos den Stoff gibt.“ Aber er geht noch weiter und dringt
auf eine Unterscheidung der Sagen dichtenden Geister, des Ä’olks-
geistes und epischen Dichtergeistes, der Gründungssagen oder Natur-
sagen und epischen Lieder (S. 11). Er durchgeht dann die Sagen-
dichtung des Volksgeistes und weist den Unterschied des gestalten-
den Sängergeistes in einzelnen Beispielen nach, die uns erkennen
lassen, wie der Sängergeist einzelne Gebilde des Ä7olksgeistes zu-
sammenfasst und weiter ausführt. Diesem Sängergeist, wie er in ein-
zelnen, begabten Persönlichkeiten hervortritt, und eben darum nicht
als Gemeingut eines Zeitalters oder eines Volksstammes aufgefasst
werden darf, ist eine nähere Darstellung gewidmet, welche weiter
in die ältesten Thatsachen der Geschichte des griechischen National-
epos eingeht, Pierien und die Pierische Poesie mit ihren Haupt-
trägern, Orpheus und Thamyris (S. 39) schildert. So gelangt der
Verf. zu dem wichtigen Satze, den wir mit seinen eigenen Worten
hier wiedergeben wollen (S. 48):
„Das nationale Epos entwickelt sich in zwei Perioden. In der
ersten werden kleinere Lieder gedichtet über einzelne Ereignisse
und Akte der Sage von der Heroenzeit. In der zweiten entstehen
grössere Compositionen und damit erst die Kunstform der Gattung.
Diess bei den Griechen durch Homer, den grossen Dichtergenius,
dessen Ilias und Odyssee das zweite Zeitalter beginnen, -zugleich
aber als älteste Denkmale nebst Hesiods Heldengenealogieen, wie
vom ganzen älteren Heldenalter zeugen, so von Liedern der ersten
Periode die zahlreichsten Beispiele erkennen lassen.“
In dem zweiten Abschnitt des ersten Buchs folgt die weitere
Begründung dieser Annahme einer zweifachen Periode des nationa-
len Epos, worin die nothwendigen Stufen der Entwicklung epischer
Poesie hervortreten, also zuerst Volkssage von der eigenen Vor-
zeit, dann kleinere Lieder, und darauf grössere epische Gebilde und
erst die wahre Epopöe; diese zweite Kunststufe und damit die
Blüthe des wahren Epos erkennt der Verfasser in der homerischen
Epopöe. Hier sucht nun Derselbe im Einzelnen die Versuche, wie
sie in der neuesten Zeit in Bezug auf die Ilias, wie auf die Odyssee
in dem Bemühen diese Gedichte in einzelne Lieder zu zerstückeln,
hervorgetreten sind, zu widerlegen und die ursprüngliche Einheit
dieser Gedichte, als eine nothwendige, in sich begründete darzu-
 
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