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Zur Geschichte des römischen Dekumatenlandes.

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sonders in den ehmals barbarischen Landschaften an der Donau,
in Gallien und Hispanien, wo die einzelnen Völkerschaften in Dör-
fern (Komen) zerstreut wohnten. Ueberhaupt bestanden die regiones
oder Kreise, Landschaften, mögen sie nun nach jenen zwei ver-
schiedenen Organisationen des Gemeinwesens Städte oder Gaue ge-
wesen sein, wieder aus einzelnen Orten, vici, die theilweise, beson-
ders wenn sie Befestigungen hatten, auch oppida sein (und über-
haupt in weiterer Entwickelung als solche vorkommen) konnten,
was rechtlich damit gleich war.
Ein vicus setzte also seine civitas oder seinen pagus voraus,
wie der Theil das Ganze und ist vom oppidnm, wie gesagt, nur
durch den Umfang geschieden, ohne dass hierdurch schon eine
Stadtverfassung entstünde. Diese letztere findet sich vor Allem
in Griechenland, Kleinasien, Afrika und Italien. (Vergl. Mommsen
«die Schweiz in römischer Zeit» in den Mittheilungen der antiqua-
rischen Gesellschaft in Zürich IX S. 17 und nach dieser Stelle
Kuhn «Verfassung d. röm. Reichs» II S. 405.)
Später bildeten die Römer auch in Gallien die Organisation
des Gemeinwesens nach Stadtgemeinden aus, während sie anfangs
daselbst nur eine solche nach Völkerschaften oder Gauen anerkann-
ten, wobei der lokale Mittelpunkt zwar nicht ganz fehlte, doch
aber mehr zurück trat, als in Italien, dem Orient und selbst in
Spanien. — Der vicus ist also der sociale, wohnliche Mittelpunkt
zunächst des pagus. Das Wort pagus an sieb, welches bekanntlich
zu pangere (= festmachen, fügen, Pflöcke einschlagen für Zelte,
wodurch eine Anzahl neben einander aufgeführter Wohnungen, ein
Dorf entstand) gehört*), also eigentlich «Gefüge» d. h. Bau, dann
ein ganzes Dorf bedeutet, ist mithin zuerst der bauliche Mittelpunkt
der Dorfflur selbst, stimmt also hierin mit vicus überein. Der
pagus entwickelte sich aber weiter, indem er später nicht mehr
nur einen Complex von Baulichkeiten, d. h. die Dorfortschaft, son-
dern auch den zugehörigen Flurbesitz umfasste.
So bildete sich der Begriff von pagus — Gau, Canton mit
dem wir es hier zu thun haben**). Derselbe hatte eine ähnliche
Verfassung wie die deutschen Marken. Diese umfassten uranfäng-
lich sehr grosse Territorien und es bildeten gewöhnlich mehrere
Einzelhöfe oder eine gemeine Mark eine Markgenossenschaft. Jeder
Markgenosse hatte gleiche Rechte an die Mark, indem die Gemein-
samkeit des Landeigenthums die Grundbedingung ihres Bestehens

*) Von der gräko-italischen Wurzel pag, päg; pak, päk woher neben
pagus auch pägina kommt, dessgl. pälus statt paxlus, erhalten in paxillus.
Vergl. Fick Grundsprache 2 462.
**) So entstand auch das italienische Wort paese, spanisch pais, por-
tugisisch paiz, französisch pays — Land, Heimatland, gleichsam latein. pa-
gense, ager pagensie, pagesius d. h. Territorium des engem pagus, Cantons,
dann ausgedehnt auf eine Landgegend im Allgemeinen. Mittellatein, pagensie
(franz, paysan) ist daher = Landmann, Bauer.
 
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