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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
I: Romantische Erfahrung und poetische Innovation
DOI Artikel:
Petersdorff, Dirk von: Korrektur der Autonomie-Ästhetik, Appell an das 'Leben'
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0081

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Dirk von Petersdorff

wird damit eine Korrektur der Autonomie-Ästhetik betrieben. Diese Wendung
Eichendorffs im Fortgang seines Werkes sieht konkret so aus, dass er sich von
der durch ihre demonstrative Artistik exklusiven Sonettform abwendet und das
Lied zur wichtigsten Gedichtform erhebt, das auf Allgemeinverständlichkeit
angelegt ist. Damit verbunden ist der Verzicht auf das Widmungsgedicht, das
eine exklusive Kommunikation signalisiert. Die komplexere Syntax der Früh-
gedichte und die nicht-mimetische, allegorische Bildlichkeit werden ebenfalls
aufgegeben; das Lied besitzt eine einfache parataktische Syntax, die Bildlich-
keit ist überwiegend realistisch,33 besteht aus einem überschaubaren Kanon
von festen und gut bekannten Motiven. Die drohende Selbstbezüglichkeit ist
überwunden, Referentialität hergestellt.

Schwieriger ist die Neuorientierung Eichendorffs zu bestimmen, wenn man
nach den Inhalten der Texte fragt. Die Korrektur der Autonomie geschieht hier
so, dass der Brückenschlag zu anderen gesellschaftlichen Systemen gesucht
wird. Dabei besteht allerdings die Gefahr einer erneuten Heteronomie: Die Li-
teratur würde dann wieder etwas verkünden, was in außerästhetischen Zusam-
menhängen festgelegt wurde. In Eichendorffs Fall und im Fall der Romantik
ist besonders die Interaktion mit dem Politik- und Religionssystem von Be-
deutung. Man muss dazu bedenken, dass die Neuorientierung der Romantik
im Zeitalter der Befreiungskriege erfolgt. Vor diesem Hintergrund erscheint
die intellektuelle Selbstbespiegelung umso deplatzierter und wird ein direktes
Engagement gefordert. So schreibt Eichendorff 1810 ein Gedicht mit dem Titel
Mahnung, das die Massenverachtung und die Position eines Künstlers kriti-
siert, der sich „über'm Leben" befindet und „einsam verwildernd in den eignen
Tönen" existiert. Dagegen richtet sich der Appell: „Es soll im Kampf der rechte
Schmerz sich adeln, / Den deutschen Ruhm aus der Verwüstung heben, / Das
will der alte Gott von seinen Söhnen."34 Solche Verse besitzen zweifellos einen
Gegenhalt in der Gesellschaft, aber es droht mit dem appellativen Charakter
auch eine einfache Funktionalisierung der Literatur.

Wichtiger noch für Eichendorffs Gesamtwerk ist das Verhältnis zur Religi-
on. Schon in dem zitierten Brief-Entwurf an Loeben beruft Eichendorff sich
auf die Religion seiner Kindheit und Jugend und erklärt: „ich bete allein u.
einzig zu Gott."35 Dass die Religion als feste Größe gesucht wird, um den in
Selbstreflexivität gefangenen Intellektuellen wieder ein Außen zu geben, zeigt

sophische Einheit des Wissens zu verteidigen; vgl. zu den diskursiven Zusammenhängen in
dieser Zeit: Bergengruen 2005. Allerdings funktioniert der Begriff diskursiv gerade wegen
seiner Offenheit. Worin die Ganzheit des ,Lebens' denn liegen soll, wie sie begrifflich zu fül-
len und praktisch auszugestalten ist, muss offengehalten werden - eben weil man in einer
differenzierten Gesellschaft lebt, in der allgemein akzeptierte Wahrheiten immer schwerer zu
formulieren sind.

Zur Entwicklung der romantischen Bildlichkeit von Petersdorff 2006.
Eichendorff, EW I: ii4f.
Eichendorff, HKA II: 12.
 
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