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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

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I: Romantische Erfahrung und poetische Innovation
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Schultz, Hartwig: Eichendorff als 'Erfinder' der Heidelberger Romantik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0087

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Hartwig Schultz

Runges Blätter der Tages- und Jahreszeiten erläuterte3 und bereits bei der An-
kündigung in Themenstellung und Vokabular genau dem entspricht, was noch
heute - jedenfalls umgangssprachlich - als „romantisch" gilt.

Und so trägt Görres denn auch - nach Eichendorffs Beschreibung - wie ein
weltfremder, geheimnisvoller „Einsiedler" vor. Sein Vorlesungsstil entspricht
zwar mitnichten heutigen Vorstellungen von einem wirksamen Vortrag von
Hochschuldozenten, doch habe die Ausstrahlung von Görres - so behauptet
Eichendorff - besonders die jungen Studenten in Heidelberg fasziniert.: „Sein
durchaus freier Vortrag war monoton, fast wie fernes Meeresrauschen schwel-
lend und sinkend, aber durch dieses einförmige Gemurmel leuchteten zwei
wunderbare Augen und zuckten Gedankenblitze beständig hin und wider; es
war wie ein prächtiges nächtliches Gewitter, hier verhüllte Abgründe, dort neue
ungeahnte Landschaften plötzlich aufdeckend, und überall gewaltig, weckend
und zündend fürs ganze Leben."4

Doch die positivistische Forschung zur Heidelberger Romantik hat längst
nachgewiesen, dass gerade die Beschreibung des Trios Görres-Arnim-Bren-
tano und des Quartiers im „Faulpelz" keinesfalls auf Beobachtungen Joseph
von Eichendorffs in seinen Heidelberger Semestern beruhen kann. Es war
insbesondere die kleine aber feine Arbeit von Herbert Levin aus dem Jahre
1922,5 die mit präzisen Recherchen zum Aufenthalt und den Wohnungen der
einzelnen Romantiker in Heidelberg aufwarten konnte. Als Beigabe finden
sich dort ein historischer Stadtplan mit den eingezeichneten Wohnquartieren
sowie heute schon historische Aufnahmen, z. B. ein Foto der „Geburtsstätte des
Wunderhorns", soll heißen: des Hauses, in dem Clemens Brentano im Juli 1805
in einem Gartenhaus „dicht hinter Nr. 32" 6 der Unteren Neckarstraße wohnte,
als Arnim ihn besuchte.

Die von Eichendorff beschriebene Sommerwohnung der beiden „fahren-
den Schüler" Arnim und Brentano, die sie für kurze Zeit im Sommer 1808
bezogen, befand sich nicht im sondern gegenüber dem Gasthaus „Zum faulen
Pelz". Eichendorff hat sie zweifellos nie gesehen, denn er reiste mit seinem Bru-
der genau an dem Tag endgültig aus Heidelberg ab, als Arnim und Brentano
die Wohnung erst bezogen,7 und hatte die beiden während seines Heidelberger
Aufenthalts niemals gemeinsam gesehen, gesprochen oder gar in einer Woh-
nung besucht. Levin vermutet wohl mit Recht, dass Eichendorff sich bei der
nachträglich angefertigten Beschreibung aufgrund von ungenauen Berichten
Dritter an die „obskure Kneipe" erinnerte und fälschlich annahm, die beiden

3 Tagbucheintrag vom 9. Juli 1807: Eichendorff 1993,229.

4 Ebd., 431.

5 Levin.

6 Vgl. Abb. Levin nach 32 sowie ebd., 39.

7 Vgl. die ausführliche Darstellung Levin 77L sowie die Abb. gegenüber 64 und den Stadtplan
im Anhang.
 
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