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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

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II: Volksdichtung und ihre romantische Poetisierung
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Tumat, Antje: "In diesem Schein des Bekannten liegt das ganze Geheimniß des Volkstons"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0181

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1Ö2

Antje Tumat

tonungen musikalischen Widerhall, so etwa in Robert Schumanns Liederkreis
op. 39.8

Dass Des Knaben Wunderhorn eine Liedsammlung ohne Noten ist, stellt
zunächst zwar keinen ungewöhnlichen Befund für die Zeit um 1800 dar, ist
aber dennoch bemerkenswert, da die Gattung des Liedes damals sowohl durch
ihre dichterische als auch ihre musikalische Komponente poetologisch defi-
niert war.9 Schließlich gab es durchaus auch Liedersammlungen der Zeit, die
mit Notenbeigabe erschienen, so etwa der aufklärerisch geprägte Vorgänger
und die Negativfolie für Arnim und Brentano, das Mildheimische Liederbuch,
1799 von Rudolph Zacharias Becker herausgegeben.10 An der Heidelberger
Liedsammlung sollte ursprünglich der ehemalige Berliner Hofkapellmeister
Johann Friedrich Reichardt mitwirken. Der Plan wurde - vermutlich auf Be-
treiben Clemens Brentanos - verworfen.11 Letzterer schrieb in einem Brief an
Arnim vom 15. Februar 1805 über Vertonungen des Komponisten:

Reichardts Manier ist mir selbst nicht die liebste: in seiner Einfachheit
liegt zuviel Bewußtsein, in seiner Erfindung zu viel Bekanntes, in seiner
Unschuld zu viel Absicht, und in all seinen Liedern schwebt er zwischen
dem Volkston und Opernton, so das rechte Geschmackvolle hat er.12

Arnim, der vor und nach der Fertigstellung der Sammlung als enger Freund
der Reichardts in Giebichenstein weilte, antwortet am 27. Februar 1805:

Du wirst doch endlich finden, daß er [Reichardt] zu den wenigen Musikern
gehört, deren Arbeit, ein wenig abgerundet durch die Zeit, wie das mit allen
Liedern geschieht, echtes Volkslied werden kann. Ich erinnere nur an sein
1) Wenn ich ein Vöglein wär [...], so wie an vier Lieder von mir, die unge-
druckt und ganz wunderbar von ihm komponirt sind. Ich kann Dir nichts
als meinen Glauben geben; aber glaube mir, daß er bei mancher Schwäche
doch der lebendigste, ständigste Mensch ist, der mir hier vorgekommen.13

Für die letztendliche Herausgabe ohne Melodien mögen neben Brentanos
ästhetisch motivierten Zweifeln an der Umsetzung des „Volkstons" in Rei-

8 Auf die musikalische Eichendorff-Rezeption wird in den hiesigen Ausführungen weniger Ge-
wicht gelegt, da die Forschungslage hier weitaus repräsentativer als im Falle der Wunderhorn-
Vertonungen ist. Vgl. Kienzle 2001, Beci 1997 und Thym 1983.

9 Vgl. Schmierer 2001,87.

10 Becker (Hrsg.) 1799. Gleichzeitig mit dem Textband erschien der Melodienband: Umbreit
(Hrsg.) 1799. Vgl. ebenso Nicolai 1777-1778. Nicolais Sammlung war ursprünglich als Parodie
auf die damalige Volksliedbegeisterung angelegt; er fügte eigene Melodien oder solche von
Komponisten wie Reichardt bei. Von den 64 Liedern dieses Almanachs wurde etwa ein Drittel
ins Wunderhorn übernommen. Eine Abbildung des Titelblatts findet sich in Schlechter 2006,
48.

11 Siehe hierzu Stockmann 1958,9ff.

12 Steig 1894,131.

13 Ebd., 135.
 
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