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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
III: Ästhetische Positionen
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Knapp, Fritz Peter: Der Beitrag von Joseph Görres zum Mittelalterbild der Heidelberger Romantik
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0298

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Der Beitrag von Joseph Görres zum Mittelalterbild der Heidelberger Romantik 279

Görres über Volksbücher geschrieben statt eines herauszugeben".49 Ob er da-
mit auch den allgemein gehaltenen Epilog verdammen wollte, wissen wir nicht.
Aber Arnim und Brentano waren eben in der Volksliedsammlung Des Knaben
Wunderhorn ganz anders vorgegangen. Sie hatten die älteren Texte ediert, und
zwar noch dazu durchaus unphilologisch erneuernd und hinzudichtend. Aber
sie hielten die älteren Texte so wie Görres die von ihm beschriebenen zum
Großteil für alte und wirkliche Erzeugnisse des , Volkes', für eine Naturpoesie
kollektiven Ursprungs. Auch Görres sah das Volkslied so und stellte ihm die
epische Volkssage zur Seite. Nach seiner Ansicht waren „aus jenen Sagen die
meisten Volksbücher ausgegangen",50 die jedoch ihrerseits bei ihm ihren Na-
men aufgrund ihrer Jahrhunderte langen Verbreitung in allen Schichten des
,Volkes' trugen. Es habe, wie er sagt, da die höheren Stände sich immer der neu-
en Mode ergeben hätten, „die alte Zeit beim Volke sich verbergen müssen",51
und so dort in der neueren Zeit überlebt.

Es ist hier nicht der Ort, über das von Literaturwissenschaft und Volks-
kunde bis heute vieldiskutierte Phänomen des Volksbuchs zu sprechen.52 Es
sollte aber klar sein, dass es in der von Görres vorgestellten Eigenart der wis-
senschaftlichen Hypothese der Brüder Grimm sehr entgegenkam, aber auch
romantischen Dichtern zur poetischen Anregung lieb sein musste. Doch auch
die gegenwarts- und zukunftsorientierten kulturpolitischen Ambitionen der
Teutschen Volksbücher müssen hier fast ganz ausgeblendet werden. Sie sind in
der Forschung schon mehrfach, so von Friedrich Strack 1987,53 treffend darge-
stellt worden. Wenn Strack allerdings behauptet, das Mittelalterbild im Epilog
zu den Teutschen Volksbüchern sei „wie bei Novalis - nicht als Abbild, sondern
als poetisches Traumbild gemeint" gewesen,54 so erscheint uns das zu einseitig,
obwohl sich dadurch das Unwissenschaftliche dieses Hymnus gut beschönigen
ließe. Bartsch tut ihn denn auch in seiner Rede von 1881 mit fünf Worten ab
und billigt ihm gerade noch „etwas Hinreissendes" zu.55 Görres schaut jedoch
nach Stracks Worten „viel gebannter in die Vergangenheit zurück als Arnim"56
- und nicht nur Arnim, wie man hinzusetzen darf. Gerade deshalb geht es
Görres bei aller poetischen Verklärung doch auch um historische Erkenntnis.
Heute nach zweihundert Jahren mag dem Mittelalterphilologen dieses roman-
tische Gründungsdokument seiner Wissenschaft ein Gefühl der Bewunderung,
aber auch des Abscheus einflößen. Auf jeden Fall aber wird er nicht verken-
nen, welche Bedeutung diese Initialzündung für die Fachgeschichte gehabt hat,

49 Holtei 1864,12.

50 Görres 1807 /1925,18.

51 Ebd., 304.

52 Vgl. Müller 2003,789-791, dort die einschlägige Fachliteratur.

53 Strack 1987,252-281.

54 Ebd., 275.

55 Bartsch 1881,17.

56 Ebd., 276.
 
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