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Strack, Friedrich [Hrsg.]; Becker-Cantarino, Barbara [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: 200 Jahre Heidelberger Romantik — Berlin, Heidelberg, 51.2007 [erschienen] 2008

DOI Heft:
IV: Poetologische und ideologische Streitschriften
DOI Artikel:
Guthke, Karl S.: Papierkrieg und -frieden in Heidelberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.11459#0461

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442

Karl S. Guthke

Herder u. a., sondern die Karte der Welt, und auf der sollten jetzt die außereu-
ropäischen Kontinente mit ihren Wilden oder auch anders Zivilisierten mehr
Beachtung finden als Paris oder auch Weimar. Und zwar sollte diese alterna-
tive Bildungskonzeption nicht nur für die imperialen Kolonialmächte gelten,
sondern auch für die Deutschen mit ihrer „ungewöhnlichen Unbekanntschaft
mit der Welt" (Lichtenberg).3 Gelten sollte also auch für die Binnenländer die
Herausforderung, sich selbst neu zu definieren im selbstkritischen Vergleich
mit den nicht weniger authentischen Lebensentwürfen der Exoten in Übersee.
Menschenkunde wird Völkerkunde, postuliert Wieland 1785. Das richtet sich
natürlich oft genug polemisch gegen die klassizistische Bildungskonzeption, et-
wa bei Christoph Meiners: Sophokles in Ehren, aber jetzt sind die Hottentotten
dran. Um als gebildet zu gelten, muss man um die Welt gesegelt sein, versichert
Chamisso, der es ja wissen musste. Selbst in Weimar hing dementsprechend
nicht nur der Geruch des Kuhstalls in der Luft (wie ein sachkundiger britischer
Kollege ermittelt hat), sondern auch der Duft der großen weiten Welt.4

Wie stand es damit in Heidelberg? In Heidelberg und speziell in den Hei-
delbergischen Jahrbüchern („einer der führenden Rezensionszeitschriften")5
und in ihrem Umkreis spiegelt sich dieser Konflikt der säkularen Bildungskon-
zeptionen bis zu einem gewissen Grade wider. Die klassische Philologie und
Kulturgeschichte sind in den Heidelbergischen Jahrbüchern regelmäßig vertre-
ten, im Gründungsjahr 1808 und dann wieder ab 1811 auch durch Voss, Vater und
Sohn6 - vertreten als Bildungsmacht, als die sie Voss 1807 in Heidelberg in ei-
nem Memorandum Über klassische Bildung verteidigt hatte gegen bloße „Wort-
krämer [ei]": verteidigt als eine auf „Humanität" „abzweckende" Begegnung
mit den „Gedanken und Gesinnungen der alten Welt".7 Die von dem Schwei-
zer Historiker Ulrich Im Hof so genannte „große Öffnung in die weite Welt"8
hingegen kommt in den Heidelbergischen Jahrbüchern - nicht ohne Spannung
zur klassischen Philologie - zur Geltung mit der Orientalistik der Romantiker
(F. Schlegel und Görres),9 also mit globaler Bildung in einer historiographi-

3 Lichtenberg 1972,269.

4 Guthke 2005, bes. Kap. 1; dort eine Fülle von Nachweisen.

5 Schultz 1902,96. Die Rezensionen erschienen großenteils anonym. Für den jeweiligen Verfasser
verweise ich auf Kloß (s. u. Anm. 6), auch wenn die Verfasserschaft nie fraglich war.

6 Kloß 1916,46,60,138-139.

7 Voss 1828, II, 63, 66,71; vgl. ferner ebd. 56.

8 Im Hof 1993, Kap. 6.

9 Rezensionen: Heidelbergische Jahrbücher (im folgenden = Jahrbücher) 111:2,1810,113-134 (Gör-
res' Mythengeschichte); IV:i, 1811,17-30 (Schlegels Sprache und Weisheit der Indier); Görres'
orientalistische Rezensionen verzeichnet Schultz 1902,79. Hinweise auf die im deutschen Mit-
telalter sporadisch als Fremdkörper rezipierten orientalischen Sagen: Heidelbergische Jahr-
bücher, 11:2,1809,210-216,221.

Verweise auf die Heidelbergischen Jahrbücher beziehen sich, wenn nicht anders angegeben,
jeweils auf die (variabel benannte) Abteilung „Philologie, Historie, Literatur und Kunst"; die
röm. Zahl bezeichnet den Jahrgang, die ggf. (d.h. vom 2. Jahrgang an) folgende arabische den
 
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