Naturwissenschaft und Medizin im romantischen Umfeld
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Zukunft lässt nach Eschenmayer auf die Wiederherstellung der im historischen
Verlauf zerfallenen Integrität des Ursprungs hoffen, auf eine Überwindung der
Krankheiten, mit der auch die Medizin überflüssig wird: „Wie aber einst die
Bruchstücke des Total-Menschen sich wieder ergänzen, die Leidenschaften sich
vermindern und die Grundzüge des Karakters nach seiner höchsten Entfer-
nung vom Centrum sich dem effectiven Werth desselben wieder nähern wer-
den, so wird auch sein leiblicher Zustand seine Integrität wieder erhalten und
die Krankheiten werden allmählich verschwinden. Diese Epoche, in welcher
die Kunst entbehrlich wird, wird der Wissenschaft die Vollendung geben."44
Medizin ist Kosmologie und Anthropologie und kann auf die Heilung von
Krankheiten nicht begrenzt werden. Medizin hat der körperlich-geistigen Bil-
dung des Menschen und Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen zu
dienen. Johann Nepomuk von Ringseis (1785-1880) erwartet seinerseits von
der Medizin eine „Kosmetik im höheren Sinn."45 In der Medizin sollen Glaube
und Wissenschaft, Philosophie und Theologie, Leben und Kunst zusammen-
finden. Medizin darf von ihren ethischen Dimensionen nicht abgelöst werden.
Geschichte der Krankheiten als objektive und Geschichte der Medizin als
subjektive Dimension des historischen Bewusstseins hängen immanent zu-
sammen. Jedes Zeitalter hat seine typischen Krankheiten; die Epoche um 1800
gilt als Zeit der Sensibilität und Nervenkrankheiten. Das Verhältnis von Okzi-
dent und Orient wird von Johann Karl Passavant (1790-1836) mesmeristisch
gedeutet: „Der ganze Orient steht wie ein in magnetischem Schlafe ruhender,
beschauender Seher dem ewigwandelnden, räsonnirenden und nach Aussen
thätigen Abendlande gegenüber."46 Auch in der Geschichte der Krankheiten
kann bei einer zeitlichen Aufzählung nicht stehen geblieben werden. Nach
Eschenmayer muss eine Chronologie der Krankheiten „den Exponenten ihrer
Verschiedenheit" entdecken: „Man würde, wie ich glaube, eine ebenso gesetz-
mäßige Ordnung in ihr finden, als sie in den Functionen des tierischen Körpers
selbst ist."47 Entsprechenden Publikationen aus der Zeit fehlt nach Conrad
Heinrich Fuchs (1803-1855) der Versuch, „den innern Zusammenhang der ver-
schiedenen Krankheiten und Epidemien nachzuweisen, und so eine Aufgabe
zu lösen, die der Geschichte der Seuchen gewiß ebenso gut, als der politischen
Geschichte in Bezug auf die Begebenheiten zukommt."48
Naturalisierung des Wissens und Spiritualisierung der Natur sind das Ziel
der Welthistorie - Rückkehr zu einer ursprünglichen Einheit von Wissen und
Wirklichkeit, von Subjekt und Objekt, mit deren Trennung die Geschichte ihren
Anfang genommen hat. Naturbegeisterung und Gegenwartspathos romanti-
scher Naturforscher und Mediziner haben hier ihre Motivation und Legitima-
44 Eschenmayer 1806,57.
45 Ringseis 1817,1:4.
46 Passavant 1821,11.
47 Eschenmayer 1806,56.
48 Fuchs 1834,3.
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Zukunft lässt nach Eschenmayer auf die Wiederherstellung der im historischen
Verlauf zerfallenen Integrität des Ursprungs hoffen, auf eine Überwindung der
Krankheiten, mit der auch die Medizin überflüssig wird: „Wie aber einst die
Bruchstücke des Total-Menschen sich wieder ergänzen, die Leidenschaften sich
vermindern und die Grundzüge des Karakters nach seiner höchsten Entfer-
nung vom Centrum sich dem effectiven Werth desselben wieder nähern wer-
den, so wird auch sein leiblicher Zustand seine Integrität wieder erhalten und
die Krankheiten werden allmählich verschwinden. Diese Epoche, in welcher
die Kunst entbehrlich wird, wird der Wissenschaft die Vollendung geben."44
Medizin ist Kosmologie und Anthropologie und kann auf die Heilung von
Krankheiten nicht begrenzt werden. Medizin hat der körperlich-geistigen Bil-
dung des Menschen und Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen zu
dienen. Johann Nepomuk von Ringseis (1785-1880) erwartet seinerseits von
der Medizin eine „Kosmetik im höheren Sinn."45 In der Medizin sollen Glaube
und Wissenschaft, Philosophie und Theologie, Leben und Kunst zusammen-
finden. Medizin darf von ihren ethischen Dimensionen nicht abgelöst werden.
Geschichte der Krankheiten als objektive und Geschichte der Medizin als
subjektive Dimension des historischen Bewusstseins hängen immanent zu-
sammen. Jedes Zeitalter hat seine typischen Krankheiten; die Epoche um 1800
gilt als Zeit der Sensibilität und Nervenkrankheiten. Das Verhältnis von Okzi-
dent und Orient wird von Johann Karl Passavant (1790-1836) mesmeristisch
gedeutet: „Der ganze Orient steht wie ein in magnetischem Schlafe ruhender,
beschauender Seher dem ewigwandelnden, räsonnirenden und nach Aussen
thätigen Abendlande gegenüber."46 Auch in der Geschichte der Krankheiten
kann bei einer zeitlichen Aufzählung nicht stehen geblieben werden. Nach
Eschenmayer muss eine Chronologie der Krankheiten „den Exponenten ihrer
Verschiedenheit" entdecken: „Man würde, wie ich glaube, eine ebenso gesetz-
mäßige Ordnung in ihr finden, als sie in den Functionen des tierischen Körpers
selbst ist."47 Entsprechenden Publikationen aus der Zeit fehlt nach Conrad
Heinrich Fuchs (1803-1855) der Versuch, „den innern Zusammenhang der ver-
schiedenen Krankheiten und Epidemien nachzuweisen, und so eine Aufgabe
zu lösen, die der Geschichte der Seuchen gewiß ebenso gut, als der politischen
Geschichte in Bezug auf die Begebenheiten zukommt."48
Naturalisierung des Wissens und Spiritualisierung der Natur sind das Ziel
der Welthistorie - Rückkehr zu einer ursprünglichen Einheit von Wissen und
Wirklichkeit, von Subjekt und Objekt, mit deren Trennung die Geschichte ihren
Anfang genommen hat. Naturbegeisterung und Gegenwartspathos romanti-
scher Naturforscher und Mediziner haben hier ihre Motivation und Legitima-
44 Eschenmayer 1806,57.
45 Ringseis 1817,1:4.
46 Passavant 1821,11.
47 Eschenmayer 1806,56.
48 Fuchs 1834,3.