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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 2.

Mittwoch, den 7. Januar 1874.

7. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4,
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.

(Fortſetzung.)

Einen Moment zögerte die Gräfin mit der Ant-
wort: „Nein! ſagte ſie dann kurz.
„Mir aber, Herr Juſtizrath, geſtatten Sie zu ge-
hen“ — ſetzte ſie dann raſch zu dieſem gewendet hinzu
— „ich habe eine ſtarke Antipathie gegen nervöſe Frauen
und will daher lieber die Dame ein ander Mal be-
grüßen, wenn ſie nicht ſo nervös iſt. Dem Willen
meines Vaters wird wohl, ſo hoffe ich, hiermit genügt
ſein, mein Bruder kann mich bei der Uebergabe des
Geldes vertreten.“ ö ö
Bei dieſen Worten verneigte ſich die Gräfin und
rauſchte, ohne eine Erwiederung abzuwarten, aus dem
Zimmer hinaus.
Herr von Plato blickte ihr mit ſinſterer Miene nach.
„Können Sie mir dieſe Scene erklären?“ wandte er
ſich fragend an den Juſtizrath. „Meine Schweſter muß
dieſe Frau bereits kennen.“
„Unmöglich!“ entgegnete der Juſtizrath und zuckte
die Achſeln — „ſie iſt erſt geſtern Morgen aus ihrem
Heimathsorte hier eingetroffen und, ſoviel ich weiß,
nie vorher in der Reſidenz geweſen.“
„Und wie heißt ihr Heimathsort?“ fragte Herr von
Plato weiter.
Der Juſtizrath nannte den Namen des Städtchens,
in welchem Frau Agnes lebte. Herr von Plato ſchüt-
telte das Haupt, der Ort war ihm und, ſo viel er
wußte auch der Gräfin gänzlich unbekannt.
„WGeſtern iſt ſie erſt angekommen?“ wiederholte der
Rittmeiſter noch einmal.
„Ja, geſtern“, ſagte der Juſtizrath, „ſie ſchrieb vor
einigen Tagen, daß ſie einer früheren Verabredung
entgegen, jetzt ſchon kommen wolle, da beſondere Ver-
hältniſſe ſie beſtimmten, gerade geſtern hier einzu-
treffen —“
„Und dieſe Verhältniſſe?“ fragte der Rittmeiſter
ungeduldig weiter.
Der Juſtizrath zuckte abermals die Achſeln.
„Sind mir ganz unbekannt — doch ſoviel ich aus
dem Schreiben von dort entnommen, iſt ihre Tochter

verlobt und deren Bräutigam hier in der Reſidenz;
ich glaube — er ſtudirt Muſik — und dieſem galt wohl
die Ueberraſchung.“
Herr von Plato blickte raſch auf — das Dunkel
begann ſich vor ihm zu erhellen.
Zu gleicher Zeit richtete ſich auch Frau Agnes
wieder auf — ſie blickte einen Augenblick verwirrt mit
angſtvollem Ausdruck um ſich — dann aber ihrer gan-
zen Situation ſich bewußt werdend, ſuchte ſie ſich zu
ſammeln. — Sie ſah den Rittmeiſter an, der neben
ihr ſtand. Die Gräfin war fort — ſie athmete er-
leichtert auf — es wäre ihr unmöglich geweſen, mit
dieſer Frau — der Urheberin ſo tiefen Leids, das
über ihr geliebtes Kind und damit auch über ſie gekom-
men — länger beiſammen zu ſein. Und dieſe vornehme
Verführerin, die Paul in's Verderben zog — es war
die Tochter ihres Vaters, die Schweſter, der ſie mit
klopfendem Herzen entgegengeſehen! — Unſeliges
Geſchick! —
„Iſt Ihnen beſſer, werthe Frau?“ fragte der Ju-—
ſtizrath freundlich.
„Ja wohl, ja wohl!“ ſagte Frau Agnes raſch und
ſtand auf. — „Verzeihen Sie“, wandte ſie ſich an Herrn
von Plato — „mannigfache Aufregungen, die Anſtreng-
ungen der weiten Reiſe haben mich wohl zu ſehr er-
ſchöpft — ich kenne ſonſt ſolche Schwäche nicht.“
Herr von Plato reichte ihr die Hand und führté ſie
zu dem ihr beſtimmten Stuhl an den Arbeitstiſch des
Notars.
„Laſſen Sie uns die Geſchäfte raſch abmachen!“
wandte er ſich an den Juſtizrath, und dann an Fran
Agnes: „Ich möchte Ihre Kraft nicht gar zu lange
auf die Probe ſtellen. Sie haben ſich zuviel zugemuthet,
geſtern erſt gekommen, gleich ein Konzert beſucht — das
iſt zuviel! — nicht war, ich irre mich doch nicht, wenn
ich glaube, Sie geſtern im Konzert geſehen zu haben?“
Frau Agnes nickte nur, ſie konnte nicht antworten.
Herrn von Plato's Augen ruhten forſchend auf ihr.
„Sie kennen Herrn Gruber?“ fragte er weiter.
Frau Agnes Hand, die auf der Lehne des Fau-
teuils ruhte, bebte leiſe bei der Nennung dieſes Na-
mens.
„Er iſt aus demſelben Orte mit uns!“ entgegnete
ſie leiſe.
Herr von Plato wußte genug. —
„Ein ſehr talentvoller junger Mann“ — warf er
ſcheinbar gleichgültig hin. — „Und nun die Papiere!“
wandte er ſich dann ruhig an den Juſtizrath.
 
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