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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 18 - Nr. 25 (4. März - 28. März)
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Vollisblatt.

heid

Vr. 24.

Mittwoch, den 25. März 1874.

7. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
ö und bei den Traͤgern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Schloß Uregg.
Criminal⸗Novelle von Wilhelm Andreä.
Schluß.)

„Was?“ rief fie, „das hätte meine Tochter geſagt?
Du Allmächtiger Gott! Sie ſoll mir vor Augen geſtellt
werden und mir das ſagen! — Sie muß wahnſinnig
geworden ſein!“ ö
In ganz gleicher Weiſe ſprach ſich auch ihr noch-
mals in's Verhör geführter Gewahl aus. Als das
Gericht aber energiſcher in ihn drang, da bekannte er,
das Oſterfeld den Grafen um's Leben gebracht habe.
In ſeiner weiteren Vernehmung fuhr er folgenderma-
ßen wörtlich fort:
„Oſterfelb war anfänglich ein willkommener Gaſt im
Schloſſe, als er aber in ſeinem Benehmen gegen meine
Tochter unvorſichtig wurde, weckte er die Eiferſucht des
Grafen. Oſterfeld ſagte mehrmals zu mir, meine Toch-
ter befände ſich als Gattin des Grafen ſehr unglück-
lich; dieſer Mann ſei ihr und auch ihm ſelbſt ein Dorn
im Auge; wenn der alte Zwingherr fort wäre, ſo laſſe
er ſich in Oeſterreich adeln und heirathe die Gräfin.
Am zwölften Februar kam ich mit Oſterfeld überein,
den Grafen, welcher, wie öfter geſchah, den Prior im
Kloſter Marienthal beſuchte, auf ſeinem Rückwege von
da abzufangen. Oſterfeld ſchlug ihn zu Boden; da er
aber noch nicht vollſtändig todt war, ſprang ich auf ihn
und erwürgte ihn.“ ö
Wie ſo mancher ſchwere Verbrecher nach vergeblichem
Suchen nach Entſchuldigungsgründen für die begangene
That, zu jenem allgewaltigen Kinde der Nacht und des
Crebus, das geſtaltlos nach unabänderlichen und in tie-
fes Dunkel gehüllten Rathſchlüſſen den Gang der Dinge
lenken ſoll, ſeine Zuflucht nimmt, ſo auch dieſer Mör-
der. Er ſchloß ſein Geſtändniß mit den Worten: „Der
Menſch kann dem ihm beſtimmten Schickſale nicht ent-
gehen; Gott ſchickt es!“
Oſterfeld verharrte hartnäckig beim Leugnen und
und fertigte ſeinen alten Beichtvater, der ihn im Ge-
ſängniſſe zu beſuchen kam, mit frechen Worten ab, je-
doch ſchon einige Tage ſpäter verlangte er nach dem-
ſelben. ö

ſeines ſeitherigen Benehmens um Verzeihung.

Er fiel ihm weinend um den Hals und unterbrach x
nach längerer Pauſe die entſtandene Stille mit der an

den tief gebeugten Greis gerichteten Frage: „Was ſagt

die Welt, was ſagen Sie zu meinem Unglück?“
„Was die Welt dazu ſagt,“ erwiederte der alte,
ehrwürdige Herr, „das weiß ich nicht, ich aber denke,
daß Sie der Gelegenheit und der Verführung unterla-
gen und daß nur Scham Sie bisher abgehalten hat,‚,
dem weltlichen Richter Ihre Jugendverirrungen, die ſo
unglückliche Reſultate herbeigeführt haben, zu erzählen.
— Ich habe Sie recht innig bemitleidet, wenn ich mir
dachte, daß jeder Tag, ja, jede Stunde Gericht gehal-
ten werde in Ihrem eigenen inneren Gerichtshofe. Denn
ſo bald die That geſchehen iſt, vor welcher das Gewiſ-—
ſen uns gewarnt, dann tritt das Geſetz als Ankläg er
in uns auf. Aber es bleibt nicht bei der Anklage al⸗—
lein! Es folgen bittere Vorwürfe, gegen das Geſetz ge-
handelt und die Warnungen des Gewiſſens nicht be-
achtet zu haben. Zwar hört der innere Richter auch
den Beklagten, der ſich unterfängt, gegen das Geſetz zu
vernünfteln und die That mit ſeiner Lage oder mit
den verführeriſchen Umſtänden zu entſchuldigen; allein
obgleich er Auswege und Ausgleichungen ſucht — die
Rechtſache vor dieſem Gerichtshofe wird immer güt-
lich beigelegt. Und da der Kläger das Geſetz ſelbſt iſt,
das unſere Vernunft uns vorhält und mit demſelben
die That vergleicht, ſo frommt keine Entſchuldigung,
der rechtskräftige Spruch erfolgt und fällt dann ſtets
verdammend aus, wenn der Angeklagte nicht in wirk-
licher Unwiſſenheit handelte, oder wenn die That nicht
ſeine Abſicht war. Ob Ihr innerer Richter, das Ge-
wiſſen, Sie freiſpricht, das, lieber Oſterfeld, werden Sie
am beſten wiſſen; iſt es nicht der Fall, o ſo hören Sie
auf deſſen Stimme, denn es iſt Gottes Stimme; ent-
ziehen Sie ſich der weltlichen Strafe nicht, um einſt
dort oben zu beſtehen!“ ö ö
Oſterfeld lauſchte den Worten des Greiſes mit Auf⸗—
merkſamkeit, dann ſagte er mit feſter Stimme:
„Gut, es ſei ſo! Ich bin des innern Kampfes müde,
müde eines Lebens, das unerträglicher als die Qual
des Todes iſt! Ich weiß, daß mein Geſtändniß mich auf

das Blutgerüſt führt, aber dennoch, es ſei! Gewähren

Sie mir nur den letzten Trotz Ihrer Begleitung. Bitte,
melden Sie mich ſelbſt dem Unterſuchungsrichter.“
Oſterfeld wurde demſelben vorgeführt und bat Es Ri ö
8 ſei
gut, meinte er, daß es ſo gekommen ſei, ſonſt hätte er
ſich noch zu größeren Verbrechen hinreißen laſſen kön-
nen. Die Gräfin ſei an allem Schuld, ſie habe ſogar
ihre Eltern zur That verleitet. ö
 
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