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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 10 - Nr. 17 (4. Februar - 28. Februar)
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Heidelberger Volloblatt.

Nr. 12.

Mittwoch, den 11. Tebra 1874.

7. Jahrg.

Erſcheint Wittwoch u und Samftag. Preis monatlich 12 kr.
und bei den Trägern.

Einzelne⸗ Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten

Man abonnirt beim Verleger, — 4 ö

Die Freunde der Kaiſerin
Hiſtoriſche Skizze von Th. Juſtus.

Es war in einer bitterkalten Dezembernacht des
Jahres 1761, als in raſchem Trabe ſich ein bedeckter
kleiner Schlitten durch die vom grimmigen Froſt verö-
deten Straßen der Czarenſtadt St. Petersburg bewegte.
Der bärtige Kutſcher war von Kopf bis zu Fuß in
dichte Pelze gehüllt, und ſo wacker die Pferde auch
ausgreifen mochten, er trieb ſie durch Schnalzen und
leiſen Zuruf zu immer noch größerer Eile an. Der
Schlitten trug keinerlei Wappen und Abzeichen, nur
das mit reichem Silberbeſchlag verſehene Pferdegeſchirr
hätte in dem faſt taghellen Mondſchein den wenigen
Begegnenden verrathen können, daß das Fuhrwerk ei-
nem vornehmen Hauſe angehöre, wäre nicht eben durch
die übergroße Eile, mit welcher daſſelbe dahin jagte,
jede genauere Beobachtung vereitelt worden. In der
Nähe des hölzernen Palaſtes an der Mocka, welcher
damals noch der Aufenthaltsort der kaiſerlichen Fami-
lie bildete, hielt die Kibitka an, und noch ehe der
Iswotſchnik Zeit gefunden, ſich aus ſeinem Pelz her-
auszuwickeln, ward von innen der Schlag des Fuhr-

werks gebffnet und eine zarte Frauengeſtalt ſchlüpfte

heraus. Einen vorſichtig fpähenden Blick nach allen
Seiten ausſendend, bedeutete ſie dem Kutſcher halblaut,
den Schlitten in den Schatten eines der nächſten Häu-
ſer zu lenken und dort ihre Rückkehr zu erwarten.
„Sollte ich binnen einer Stunde nicht zurückgekehrt ſein“,
fügte ſie hinzu, „ſo kehrſt Du ſtill und geräuſchlos
wieder heim, Iwan Petrowitſch. Ich werde alsdann
meinen Rückweg zu Fuß antreten.“
„Zu Fuß, Herrin?“ unterbrach ſie entſetzt der Die-
ner. „Bedenken Sie, zu Fuß und in dieſer grimmig
kalten Nacht!“ Allein eine befehlende Handbewegung
ſeiner Gebieterin unterbrach ihn. „Du hörſt es!“
ſagte fie ruhig und beſtimmt, „und ich weiß, Du wirſt
meinem Befehle pünktlich nachkommen.“
legte wie betheuernd die Hand auf ſeine Bruſt und die
Dame ſchritt, ohne ſich zu beſinnen, einem kleinen Sei-
tenpförtchen des kaiſerlichen Palaſtes zu, deſſen Griff
ihrem vorſichtig taſtenden Druck nachgab.

hörbaren Tritten erſtieg ſie die in das erſte Stockwerk
hinaufführende, matt erleuchtete Treppe. Oben ange-

Der Diener

Hinter ihr
ſchloß ſich die Thür wieder geräuſchlos, und mit un-

langt, blickte ſie ſich eine Weile rathlos um, 48 von

einem Seitenkorridor her ſich gedämpfte Schritte hören
ließen. Einen Augenblick ſchien es, als wolle die ſo
geheimnißvoll eingedrungene Fremde hinter einen der
Treppenpfeiler treten, um der Entdeckung zu entgehen,
doch in derſelben Sekunde noch athmete ſie erleichtert
auf und trat einen Schritt vor. „Katinka Iwanowna“,
flüſterte ſie. „Gott ſei gelobt, daß ich Sie hier finde!“
Die Angeredete ſtieß einen leichten Schrei aus.
„Fürſtin! um Gotteswillen — Sie hier? zu dieſer
Stunde?“ Allein die zarten Finger der Fürſtin legten
ſich plötzlich wie eiſerne Klammern um ihr Handgelenk.
„Still, wenn Leben und Freiheit Ihrer Gebieterin Ih-
nen lieb ſind! Führen Sie mich zu Ihrer kaiſerlichen

Hoheit, Katinka Iwanwna, ſo raſch Sie können!“

„Aber kaiſerliche Hoheit haben ſich bereits zur Ruhe
gelegt,“ bemerkte die Kammerfrau zweifelnd und ängſtlich.
„Ich nehme alle Verantwortung auf mich! Wecken
Sie die Großfürſtin unverzüg lich nnd melden Sie ihr,
daß die Fürſtin Daſchkow ſie in dringenden Angelegen-

heiten zu ſprechen wünſche.“

Die Kammerfrau wagte nicht länger, Einwendungen
zu machen. „So kommen Sie, Fürſtin!“ flüſterte ſie,

die Hand der letzteren ergreifend und ſie in den faſt

dunklen Korridor geleitend. Von dieſem aus betraten
Beide ein DIch eine Ampel matt erleuchtetes Vorzim-
mer, in welchem die Fürſtin zurückblieb, während die
Kammerfrau vorſichtig die Thuͤr des anſtoßenden Schlaf-
zinimers öffnete. Drinnen wurden nur wenige Worte
gewechſelt, dann lud eine ehrerbietige Handbewegung

Katinka Iwanowna's die Fürſtin zum Eintreten ein;

und kaum, daß eine Sekunde vergangen war, kaum,
daß hinter der Kammerfrau die Thür ſich wieder ge-
ſchloſſen hatte, als, mit einer leidenſchaftlichen Bewe-
gung beide Arme ausſtreckend, die Fürſtin Daſchkow
vor dem Betté der Großfürſtin Katharina, gebornen
Prinzeſſin von Anhalt-Zerbſt, der nachmaligen Kaiſerin
Katharina II. niederkniete. Dieſe hatte ſich aufgerich-
tet und beide Arme um die Kniende legend, fragte ſie
in beſorgtem Tone: „Um Gott, Fürſtin, was iſt Ihnen?
Droht Ihnen eine Gefahr, daß ich Sie zu dieſer Stunde
bei mir ſehe?“
Die Fürſtin ſchüttelte den Kopf und ihre ſchönen
Augen füllten ſich mit Thränen. „Nicht mir, kaiſer-
liche Hoheit, aber Ihnen, Ihnen ſelber droht Gefahr!“
Die ſchöne, majeſtätiſche Frau lächelte bitter. „Ge-
fahr, Katinka Romanowna? Gefahr hat mir zur Seite
geſtanden von dem erſten Augenblick an, wo ich den
 
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