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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr.

Heidlelberger Volksblatt.

Mittwoch, den 21. Januar 1874.

7. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4,
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Statt aller Antwort zog Frau Walter fie auf's
Neue an's Herz und legte dann Jenny's Hand in die
ihres Sohnes. — Es waren ſelige Stunden, die jetzt
für dieſe drei glücklichen Menſchen ſolgten, Stunden
voll hoher Weihe und Erhebung. Beim fröhlichen Mahle
klangen die Gläſer zuſammen auf das Wohl des jun ⸗
gen Brautpaares. Bodo ſchlang, nachdem die Mutter
ſie verlaſſen, den Arm Jenny's in den ſeinen und

führte die Geliebte durch die ſchönen Räume ſeines

Hauſes. In ſeinem Studirzimmer zog er ſie zu ſich
auf das Sopha nieder:
„Hier laß uns einen Augenblick weilen, hier ſiehſt
Du die Stätte meiner Kämpfe und Leiden, hier hat ſich
mein Geiſt in ſtillen Stunden an den Meiſterwerken
aller Völker erhoben, hier hat er aus den ewigen Quel-
len geſchöpft, um im Streben nach Wahrheit dem Ur-
grunde des Alls näher zu kommen.“
„Haſt Du nicht oft ſchon daran gedacht, mein Herz“,
fuhr Bodo nach einer Pauſe fort, „wie ſeltſam das
Leben mit uns verfahren iſt? Wir, die wir ſo ganz für
einander geſchaffen ſind, wir gingen Jahre lang kalt
und theilnahmlos an einander vorüber, ohne ein nähe-
res Verſtändniß unſerer ſelbſt zu ſuchen.“
Jenny ſeufzte.

„Nicht mit uns“, erwiederte ſie, „iſt das Leben ſelt-

ſam umgegangen, ſondern wir mit dem Leben. Welche
Stunden des Glückes, die unſer hätten ſein können,
ſind uns ſo durch unſere Schuld verloren gegangen?“
„Dafür empfinden wir jetzt doppelt die Seligkeit
gegenſeitigen Beſitzes!“ rief Bodo. Einen Augenblick
ſchaute er ſinnend zu Boden. „Unwillkürlich“, fuhr er
daan fort, „ruft mir dieſe Stunde des Glückes lebhaft
andere Stunden des Glückes zurück, die ich hier, nach-
dem ich lange einſam geweſen, in Geſellſchaft eines
theuren Freundes, unſers Paul zubrachte. In der
Wonne des Glückes, das Deine Liebe über mich aus-

ſtrömt, habe ich noch keine Zeit gefunden, ihn aufzuſu-

chen. Doch jetzt erzähle Du mir, Jenny, was macht
Paul?“
Jenny blickte zu Boden — ſie antwortete nicht gleich
— Bodo ſchaute ſie beſorgt an.

„O ſprich was iſt mit ihm?“ rief er. — „Ich fürch-
tete lange für ihn — ſage mir Alles — iſt der Un-
glückliche wirklich in die Netze dieſes dämoniſchen Wei-
bes, der Gräfin Landsfeld, gefallen? Sprich! Laß mich
Alles erfahren!“ ö
„Es iſt mir ſchmerzlich“, ſagte Jenny, „daß ich ge-
rade Dir ſagen muß, Paul iſt Deiner Liebe nicht
werth!“ —
„Nicht werth? Wer unter uns wohl hat das Recht,
über Werth und Unwerth eines Menſchen zu richten?
Doch, erzähle mir Alles und laß uns daran denken,
was zu thun, um Paul dem Verderben zu entreißen.“
Jenny berichtete nun Alles, was in Bodo's Abwe-
ſenheit geſchehen war. Bodo war aufgeſprungen und
ſchritt haſtig im Zimmer auf und ab.
„Und hat Paul es nicht verſucht, ſeine Braut wie-
der zu verſöhnen?“ fragte er, als Jenny geendet.
„Nein, im Gegentheil! Er ſcheint ſeitdem nur noch
allein für die Gräfin zu leben.“
„Entſetzliches Weib!“ ſtieß Bodo zornig hervor.
„O, ich kenne Dich wohl. — Das iſt ein Akt der Rache
gegen mich! Paul iſt in's Verderben gezogen, weil er
mein Freund war; aber — Du ſollſt Dich getänſcht
haben, ich werde ihn retten und ſollte ich ſelbſt mein
Leben dafür einſetzen müſſen.“
Jenny war zu Bodo getreten und legte beſänftigend
die Hand auf ſeine Schulter. „Bodo“, ſagte ſie ſanft,
„Du ſprichſt in Räthſeln, was haſt Du mit dieſer Gräfin
gemein?“
Bodo führte ſie, ohne ein Wort zu erwiedern, zu
einem von dichter Gaze verhüllten Gemälde hin. Raſch
zog er die Gaze fort.
„Kennſt Du dieſe Züge?“
Stimme bebte. ö
„Die Gräfin Landsfeld!“ entgegnete Jenny be-
klommen.
„Und nun höre und erfahre Alles!“ rief Bodo,
„Alles, Geliebte, was meine Jugend zerſtört, was mich
zu dem gemacht hat, was ich war, ehe ich Dich fand,
Jenny, — ein an der Menſchheit Verzweifelnder.“
„Du weißt“, begann er endlich, „mein Vater hatte
ſich außerhalb der Reſidenz in anmuthiger Gegend eine
ländliche Beſitzung gekauft, die uns zum Sommeraufent-
halt diente, und die für mich, den warmblütigen Kna-
ben, der die Natur über Alles liebte, alle Reize beſaß,
die demſelben den Aufenthalt dort lieb und theuer ma-
chen konnten. Mein Vater erlaubte mir, ein Schwa-
nenhaus auf dem See anzulegen, das auf einer kleinen

fragte er, und ſeine
 
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