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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Samſtag, den 24.

Januar 1874. 7. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schlffgaſſe 4,
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Zu ſpät!
Rovelle von Clariſſa Lohde.

(Fortſetzung.)

„Ich weiß nichts von der Sache“, erwiderte ſie,
„ich bin eben ſo überraſcht als Du.“
Ich blickte von Neuem auf das Bild hin — da be-
merkte ich plötzlich ein zuſammengefaltetes Papier neben
demſelben, es war ein Brief — ich öffnete ihn.
„Bodo“ — ſo lautete der Brief — „Du wollteſt
das Bild Conſtanzens beſitzen — ich habe mein Ver-
ſprechen gehalten, obwohl ich wußte, als ich es begann,
daß ich in mein Verderben ging. Bodo, ich bin nur
ein Menſch, Du haſt mich in die Nähe eines Weſens
gedrängt, dem ſelbſt die Engel nicht zu widerſtehen ver-
möchten, wenn aus ihrem Munde ihnen Worte der
Liebe entgegentönen. Bodo, ich bin Dein Freund und
habe Dich verrathen; ich liebe Dich — und habe Deine
Braut in ſündigem Verlangen an mein Herz gedrückt.
In edlem Vertrauen ließeſt Du mich mit ihr allein.
— Dein Vertrauen iſt mißbraucht worden. Ergriffen
von einer hirnberauſchenden Liebe bin ich an Dir zum
Verräther geworden. Die Strafe für mein Verbrechen
blieb nicht aus. Das Weib, um deretwillen ich meine
Seligkeit geopfert, wandte mir nach kurzem Glückes-
rauſch den Rücken — ſie hat mir ſelbſt mit kalter Ruhe
geſagt, daß es an der Zeit ſei, von den Träumen zu
erwachen. — Seit diefer Stunde verzehrt mich der
Schmerz. — Hoffen — Glauben — Vertrauen — Alles
iſt aus meinem Herzen gewichen — ſelbſt für die Kunſt
bin ich verloren. Ich bin entſchloſſen, zu ſterben. Als
mein Vermächtuiß empfange das Bild, bei deſſen Vol-
lendung ich alle Schmerzen und Qualen der Hölle, alle
Seligkeiten des Himmels empfunden habe. Wenn Du
dies lieſt, weile ich nicht mehr unter den Lebenden.
Hubert.“ ö
Hubert hatte ſich mit eigener Hand getödtet.
Ich war lange krank — glückliche Bewußtloſigkeit
breitete ſich Tage und Wochen lang über meine Seele
aus. Als ich geneſen war, war die erſte Nachricht, die
mich traf, die von der Verlobung Conſtanzens mit dem
alten aber reichen Grafen Landsfeld.
„Armer Bodo!“ ſeufzte Jenny.
„Was ich gelitten, wie kann ich es beſchreiben? Doch

Coet ſchickte mir Dich, meine Jenny, einen rettenden
ngel.“ 2 ö
75 wäre es mir vergönnt, Dich die Vergangenheit
vergeſſen zu machen!“ ſagte ſie zärtlich.
„Du haſt es bereits gethan! Doch jetzt laß uns zur
Mutter zurückkehren, Liebe! — Ich weiß nicht“, ſetzte
er nach kurzer Panſe hinzu, während er mit der Hand
über die Stirn fuhr, als ob ſie ſchmerze — „mir iſt
es ſo ſchwül hier im Zimmer geworden, das Athmen
wird mir faſt ſchwer. — Ein Spaziergang wird den
Druck den ſchon die Erinnerung an jene Ereigniſſe auf
meine Seele ausgeübt hat, wieder verſcheuchen.“

Dreiundzwanzigſtes Kapitel.

Der Park prangte im erſten Frühlingsſchmuck —
durch das ſäſtige Grün der Hecken ſchimmerte die un-
tergehende Sonne und warf glühende Reflexe auf den
Waſſerſpiegel des Goldfiſchteiches und auf die roſige
Blüthen der Kaſtanienallee. Nicht weit von dieſer Allee
entfernt im Schatten eines engen, einſamen Heckengan-
ges ging eine Dame, das Geſicht dicht verſchleiert, auf
und nieder. Ihre Bewegungen waren unruhig, ihr
Gang wurde mit jeder Minute haſtiger. Ein junger
Mann kam eben den großen Weg herunter, ſie winkte
ihm mit dem Fächer, er ſchritt raſch auf ſie zu und zog
grüßend ſeinen Hut. Sie zog ihn weiter in eine ab-
gelegene Allee. Kein Fußtritt ließ ſich hören — Beide
ſahen ſich forſchend um, bevor ſie ein Wort wechſelten.
„Seien Sie unbeſorgt, gnädige Frau“, nahm der
junge Mann endlich das Wort und reichte der Dame
den Arm — „hier kann uns Niemand belauſchen.“
„Und doch war es mir vorher, als hörte ich Schritte
hinter mir“, entgegnete ſie ängſtlich, „ja, mir iſt, als
höre ich ſie noch.“ R
„Sie ſind aufgeregt, gnädige Frau“, ſagte er, „ver-
bannen Sie jede Unruhe — was wär's auch, wenn
man uns ſähe? — Wir haben uns zufällig im Park
getroffen und gehen eine Strecke mit einander.“
Sie ſchlug den Schleier zurück und zeigte ihrem
Begleiter ein vor innerer Aufregung glühendes Antlitz.
„Sie ſind gekommen, Herr Gruber“, begann ſie mit
leiſe zitternder Stimme —“ 17111
„Um Alles zu hören, was Sie mir zu ſagen haben,
Frau von Plato!“ entgegnete Paul raſch — das „Frau
von Plato“ mit kalter Höflichkeit betonend.
Sie zuckte zuſammen. „Ich habe dieſen gewagten
 
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