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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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SBeidelberger Vollisblatt.

Nr. 9.

Samſtag, den 31. Januar 1874.

7. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4,
ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Schwankend lehnte Paul ſich an die Wand. Welche

Stunden furchtbarer Seelenqual lagen bereits hinter
ihm! — Wie hatte er die Nacht in glühendem Schmerz
durchwacht — alles, alles Glück verſunken — der Rauſch
verflogen, die Schuld als ſchreckliche Rächerin vor ihm
aufſteigend. — Immer und immer wieder erſchien vor
ſeinem Geiſte das bleiche Antlitz Käthchen's und neben
ihr, das ſanfte Kind mit ſtolzem Lächeln verdrängend,
erhob ſich das ſchöne von gold'gem Haar umwallte
Haupt der Gräfin, die ſchimmernden Augen des Wei-

bes ſchienen ſich tief in ſeine Seele zu ſenken und mit

verzehrendem Feuer dieſelbe auszutrinken! — Verrathen!
— in ſeiner Liebe verrathen! — Aber er hatte volle
Gewißheit haben wollen — aus dem eigenen Munde
des treuloſen Weibes wollte er ihren ſchmählichen Ver⸗—
rath beſtätigt hören. — Man hatte ihn nicht einmal
vorgelaſſen; mit dem Beſcheid, die Gräfin empfange
heute Niemand, war er abgewieſen worden wie ein Ue-
berläſtiger, vor dem man verächtlich die Thüre ſchloß.
— Nicht einmal eines Wortes würdigte ihn das Weib,
das noch geſtern hingebend in ſeinen Armen gelegen
hatte. Ein Schauer erfaßte ihn, ein Schauer vor ſich
ſelbſt! — War dieſe Frau das Opfer ſeines Lebens
werth? — Um einer Elenden willen hatte er ſein Ju-
gendglück geopfert, hatte er ein treues, liebendes Herz
gebrochen. — O, es iſt entſetzlich, das verachten zu müſ-
ſen, woran man zuvor mit allen Faſern ſeiner Seele
gehangen hat. — Aber das Alles war ja erſt der An-
fang des Leidens, ſchrecklichee als alle Qualen, die er
bei dem Verrath der Gräfin empfunden, war das vor-
ahnende Gefühl, das jetzt mit wahnſinniger Verzweiflung
ſeine Seele durchzuckte! Bodo opfere ſich für ihn, —
Bodo, an dem er ſchmählichen Undank geübt, deſſen
Freundeshand er von ſich gewieſen! Gleich einem von
Furien Verfolgten ſtürzte Paul aus dem Zimmer, nur
5 907* Namen mit qualvollem Schmerze ausſtoßend:
„Bodo! ö ö

Fünfundzwanzigſtes Kapitel.

Bodo ſaß ſchon ſeit dem frühen Morgen in ſeinem
Arbeitszimmer vor dem Schreibtiſch, eifrig mit dem

Ordnen und Sichten ſeiner Papiere beſchäftigt. Dem
Diener war ſtreng befohlen worden, Niemand außer dem
Fürſten Lichtenberg vorzulaſſen.
Um elf Uhr kam denn auch der Fürſt.
Ordnung?“ fragte Bodo.
„Alles!“ war die kurze Antwort des Fürſten.
„Und wann?“ fragte Bodo.
„Punkt ein Uhr im Kaſtanienwäldchen.“
„Ich bin bereit,“ ſagte Bodo.
Der Fürſt warf ſich in einen Stuhl und winkte
Bodo zu, in ſeiner Beſchäftigung fortzufahren.
„Laſſen Sie ſich durch mich nicht ſtören“, ſagte er.
„Ich bin fertig!“ entgegnete Bodo; er verſchloß das
Schreibpult, den Schlüſſel reichte er dem Fürſten.
„Wenn ich fallen ſollte“, ſagte er, „übergeben Sie
dieſen Schlüſſel meiner Mutter.“
Der Fürſt drückte ihm ſtatt aller Antwort die Hand.
Bodo ſetzte ſich dem Fürſten gegenüber und ſchob ihm

„Alles in

die Cigarrenkiſte, ſich ſelbſt eine Cigarre anzüudend.

„Sagen Sie mir nur eins, lieber Freund“, begann
jetzt der Fürſt, „wie kommen Sie, der friedfertigſte
Menſch von der Welt und dazu ſeit geſtern glücklicher
Bräutigam, einen Tag nach Ihrer Ankunft ſchon zu ei-
nem Duelle?“
Bodo ſchaute zu Boden.
„Auch mir kommt die Sache wie ein Traum vor“,
entgegnete er trübe — „wie ein böſer Traum, — doch
das Schickſal liebt es ja, mit Licht und Schatten im
Leben ſchnell zu wechſeln. Muß ich nicht dankbar ſein,
daß es mir vergönnt war, bevor ich von der Erde
ſcheide, wenn auch nur in flüchtigen Stunden, noch
ganz und voll glücklich geweſen zu ſein?“ — Bodo er-
zählte dann kurz das geſtern Erlebte. Der Fürſt hörte
aufmerkſam zu.
„Verzeihen Sie“, ſagte er, als Bodo geendet hatte,
und blickte ihn groß und fragend an, — „was Sie
mir da mitgetheilt, iſt mir nicht ganz verſtändlich. —
Warum opfern Sie ſich für einen Freund, der feige
genug iſt, einen Andern für ſich eintreten zu laſſen,
wo er allein einſtehen müßte!“
Bodo lächelte trübe. — „Warum? ſagte er ..
„Weil Gruber mein Freund iſt, weil ich ihn liebe.
Als ich ihn kennen lernte, war er ein junger Mann,
der Alles beſaß, was das Leben reich und ſchön zu ma-
chen im Stande iſt. — Zwar wußte ich, daß auch bei
ihm die Schattenſeiten den Lichtſeiten gegenüber ſehr
ſtark vertreten waren — um ſo mehr erwuchs aber der
Wunſch in mir, den leicht erregbaren Jüngling an mei-
 
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