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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 10 - Nr. 17 (4. Februar - 28. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0065
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ger Volksblatt.

Samſtag „ den 28. Febrnar 1874.

7. Jchr9.

Erſcheint mittwoch und Samſtag. Pres monatlich 12 kr.
ö und bei den Trägern.

Enzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſalten: 2*

Man abonnirt beim Verleger „ Schiffgaſſe 4,

Eine ſchreckliche Nacht.
ö Erzähl. aus der engl. Verbrecherwelt von Hakim Abu Ruken.

Wir waren faſt mit dem Deſſert zu Ende, als ei:
ner der Diener eine telegraphiſche Depeſche brachte und
ſie Herrn Wilmot einhändigte; derſelbe erbrach ſie,
las ſie und überreichte mir dann das Papier. Es war
in unferem ausgebreiteten Geſchäft nichts Seltenes,
daß wir von einer Filiale zur andern oder mit dem
Hauptgeſchäft in London per Draht korreſpondirten.
Da es ſich aber oft um wichtige Geſchäfts⸗Transaktionen
handelte, ſo bedienten wir uns eines Chiffernſyſtems,
welches nur die erſten Beamten unſerer Bank verſtan-
den. Nicht einmal die Telegraphiſten hatten eine Idee
von dem Inhalt unſerer Depeſchen, ſie telegraphirten
unſere Zahlen und Zeichen rein mechaniſch. In dieſer
Chiffernſchrift war die Depeſche verfaßt, welche ich in
der Hand hielt. Sie kam von M., einer vielleicht vier-
zig Meilen entfernten Stadt, in welcher es zwei Bank-
geſchäfte gab, d. h. unſere Filiale und ein anderes,
und enthielt Folgendes: „Heute Rachmittag vier Uhr
hat die P. & M.-Bank am hieſigen Platze ihre Thüren
für immer geſchloſſen. Da ich das ſoeben unter der
Hand erfahre und annehmen darf, daß morgen ein be-
deutender Geſchäfsandrang auf unſere Bank ſtattfinden
wird, ſo erſuche ich Sie, mir ſofort eine bedeutende
Geldſumme zu ſenden. Schicken Sie mir alles Diſpo⸗—
nible und telegraphiren Sie für ſich ſelbſt nach O.,
wenn Sie Mangel an Geld haben ſollteu.“ ö

M., Dezember 18 — ö
O. Dane, Direktor.“

Die Sache war eine ſehr dringende, und Herr Mil-
mot und ich entſchloſſen uns ſchnell, zu handeln. Ich
nahm einen Wagen und ſuchte unſern Kaſſirer auf,
der im Beſitze eines Schlüſſels zu unſerem feuer⸗ und
diebsſichern Geldgewölbe war; die andern beiden Schlüſ-
ſel hatte der Direktor und ich. Während ich den Kaſ-
ſirer ſuchte, telegraphirte Herr Wilmot nach O., ſandte
nach dort eine Kopie des Dane'ſchen Telegramms und
forderte zu einer Baarſendung an uns für den folgen-
den Tag auf. Herr Wilmot war bereits in der Bank
als ich mit dem Kaſſirer hinkam. Wir fanden den
Hausknecht vor, der, wie ich ſelbſt, im Bankgebäude
wohnte, und es dauerte nicht lange, ſo hatten wir eine
Summe von 17,000 Pfund Sterling in Gold und viel-

den Mann deßhalb beſonders aufmerkſam an,

des Herrn Wilmot verſtändigten ihn,

Einſchieben in

leicht 2000 Pfund Sterling T in jene kleinen,
feſten Kiſten verpackt, welche man in England zum
Geldtransport verwendet. Um das Geld nach der Ei-
ſenbahnſtation zu bringen, hatten wir zwei Wägen nö-
thig, die der Hausknecht bei der nächſten Station be-
ſtellte. Als die Wägen vorfuhren, verließ ih etwas
haſtig das Bankgebäude, um bei der Verladung zu ſein,
und kreuzte ſo den Weg eines Mannes, der über den
Seitenweg ging und deſſen Aeußeres mir auffiel. Er
war ziemlich groß und hager, hatte ſeinen Rock bis zum
Kinn zugeknöpft, trug über den aufgeſchlagenen Rock-
kragen ein weißes Taſchentuch gebunden und hielt ein
buntſeidenes Schnupftuch vor Mund und Naſe, wie
wohl hektiſche Menſchen thun, die ſich gegen die ſchäd-
lichen Einflüſſe der feuchten Nachtluft ſchützen wollen.
Dieſe Vorſichtsmaßregeln waren zwar bei dem ſchlech-
ten Wetter nicht beſonders auffällig, aber ich war trotz-
dem mißtrauiſch, wie man immer in der Nähe von vie-
lem Gelde iſt, das man zu bewachen hat. Ich blickte
und da
er gerade von der Gaslaterne beſchienen wurde und
ſein Taſchentuch nicht ganz feſt vor das Geſicht gedrückt
war, ſo ſah zach daſſelbe. Es war eins von den Ge-
ſichtern, welche man nicht ſo leicht vergißt — hübſch,
regelmäßig, ausdrucksvoll. Aber ich hatte zu thun.
Er ging vorüber nud ich dachte nicht mehr an ihn.
Der Direktor und ich beſtiegen den einen Wagen, der
Kaſſirer und Hausknecht den anderen, und wir ließen
ſo ſchnell fahren, als nur immer möglich war, um die
Station noch rechtzeitig zu erreichen. Als wir anka-
men, wollte der Poſtzug für M. eben abgehen. Der
Stationsmeiſter war auf dem Perron, und einige Worte
daß das Geld
noch mit müſſe.
„Ich ſehe ein, mein b ſ antwortete der Stations-
meiſter, „daß Herr Danby ſür ſich und das Geld ein
Coupe allein haben muß; da aber alle Waggons beſetzt
find, ſo will ich noch einen Extrawagen mitgeben. Wir
ſind jedoch bereits über die Abfahrtszeit hinaus und
die Poſtregulation geſtattet keine Verzögerung, ich muß
deßhalb den Waggon hinter dem der Kondukteure an-
hängen laſſen; es iſt, wie geſagt, keine Zeit mehr zum
die Reihe.“
Da für uns die Hauptaufgabe war, rechtzeitig mit

dem verlangten Ergänzungsfonds nach M. zu kommen,

ſo erhoben wir keine Einſprache, und es wurde ein
Waggon angehängt und befeſtigt, deſſen erſtes Coupe
ich mitſammt dem Gelde einnahm. Die Kiſtchen wur⸗—
 
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