Nr. 40.
Mittwoch „den
20. Mai 1874.
Erſcheint Mittwoch und Sam
ſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiff
und bei den Trägern. Auswärts bei den L
andb
ten und Poſtanſtalten.
Der Maulatte.
Novelle von C. Brunn⸗Gabris.
(Fortſetzung). ö
Fenno öffnete das duſtende Billets, ehe er es las
berührte er es verſtohlen mit den Lippen. Etſinore
ſchrieb: ö
„„Guten Morgen, mein Fenno! Haſt Du gut geſchla-
fen? Und von Deiner Elſinore geträumt? Mein letztes
Wort geſtern Abend war: Fenno: Glaubſt Du wohl, (
daß ich irgend einen⸗Gedanken habe, in den Du Dich
nicht hineindrängſt? Und immer meinte ich Deinem
Blick zu begegnen, wenn ich aufſehe. Iſt es denn wirk-
lich wahr, mein Fenno, liebſt Du mich? Mich, Elſinore
Walden? Mich, die ich Deiner ſo unwerth bin? O Fenno
wenn Du jetzt auch nicht bei mir biſt, ich lege in Ge-
danken meinen Kopf wie geſtern Abend an Deine Bruſt
und leſe in Deinen ſchönen Augen die Gewißheit mei-
nes Glücks. Ich weiß, ich fühle es, mein Fenno liebt
mich. Mein Fenno! — es ſind noch nicht ſo viel Stun-
den verfloſſen, als zu einem Tage gehören, da war ich
noch in tiefer Verzweiflung, aber nichts — ſo dachte
ich in meinem ſtarren Trotz — ſollte mir eine Klage,
eine Aeußerung meines Schmerzes entreißen; ich hatte
den feſten Vorſatz, kalt und ruhig zu bleiben. Schon
aber fühlte ich ein Schwachwerden, deshalb fuhr ich mit
Mrs. Leſter in die Oper. Aber ich hielt es nicht aus,
jeder Ton peinigte mich, ich hörte im Geiſt immer Deine
Stimme, und als ich zurückkommend Dich allein fand,
flüchtete ich hinter die Maske meines alten Hochmuths,
um nicht weich zu werden. Als ich den Zettel fand,
als ich meine Liebe verrathen und verſchmäht wähnte,
faßte ich den Entſchluß, nun für immer von Dir zu
ſcheiden. Ich wollte Papa überreden, weit fort zu zie-
hen, den Dir noch ferner zu begegnen — nein, das
war mir nicht möglich, mein Stolz empörte ſich da-
gegen. Und doch — ron Dir ſcheiden! Mir war ei-
nen Angenblick, als könnte ich nicht eher ſterben, als
Dich für ewig meiden. — Doch, weißt Du, mein Fenno
weshalb ich eigentlich ſchreibe? Schilt mich närriſch, kin-
diſch, einfältig, aber — erfülle-meine Bitte, laß es,
wenn auch nur für wenige Tage, ein Geheimniß ſein,‚
daß wir uns lieben. Es iſt gewitz lhöricht, aber laß
mir dieſe ſüße Kinderei, Dich verſtöhlen zu begrüßen,
die wenigen Augenblicke des Aleinſeins⸗zu ſtehlen, vor-
den Andern das Glück noßh zu eibergen. Ni ö
He
4. * 74
Fenno, Du willfahrſt den Bitken Deiner kleinen, kindi-
ſchen Braut? Und wenn Du es durchaus nicht anders
willſt, einen Tag mußt Du mir ſchenken. Thuſt Du
es, Fenno? Aber kommen mußt Du, recht bald, recht
oft kommen. Schreibe mir ein paar Zeilen zur Ant-
wort. — Doch, Fenno, was haſt Du nur gedacht, als
Du den Zettel fandeſt? Du haſt das gar nicht geſagt
und irgend eine Vermuthung mußt Du doch gehabt
haben. Beichte, mein Fenno! ö
ö Deine
Elſinore.“
Fenno antwortete: ö
„Meine Elſinore! Meine ſüße Elſi! Taufend Dank
für Deine Zeilen. Ich gebe Deinem Wunſch nach,
wie könnte ich anders! Ich komme, ſobald es irgend
angeht, denn mein Herz verlaͤngt voll Ungeduld nach
Deinem Anblick. Auf Deine Frage in Betreff des
Zeitels antworte ich lieber mündlich, es wird ſich ſchon
eine Gelegenheit dazu ſinden. Ich erwa te Dich nach
Empfang dieſer Zeilen drüben am Fenſter zu ſehen,
damit wir wenigſtens aus der Ferne einen Blick-kauſchen!
Dein —1111
ö Fenno
Und kaum hatte der Diener das Haus verkaſſen,
ſo ſtand Fenno auch ſchon, darauf wartend, daß ſie ſei-
nem Wunſche nachkomme, am Fenſter. Es verging nur
kurze Zeit, ſo erſchien ſie, ihm grüßend zuwinkend, und
er erwiderte ebenſo. Eine Stunde ſpäter ging er hin-
über. Er traf Elſinore und ihren Vater im Parlour.
„Nun“, begrüßte ihn Herr Walden, „wie war die
erſte Nacht in Deiner neuen Wohnung? Haſt Du an-
genehm geträumt?“ **
„Ja, ſehr angenehm“, entgegnete Fenno und kauſchte
einen Blick des Einverſtändnißes mit Elſinore
„Nun, ſo merke Dir Deinen Traum. Es heißt,
was mian in der erſten Nacht, die man in einem frem-
den Hauſe zubringt, träumt, geht in Erfüllung.“
5“, verſetzte Fenno mit einem glücklichen Lächeln
„da könnte es ja gar nicht ſchöner ſein. Wie lange
muß man warten auf die Erfüllung?“
„Ja, da fraͤgſt Du mich zuviel. Du mußt Dich an
einen Traumdeuter wenden, wenn Dir daran gelegen
iſt, das zu erfahren.“ —
„Gut“, ſagte Fenno, „ich habe ſchon Jemand im
Sinne, der mir wohl Anskunft geben kann.“
— „Run“, fagte-Herr Walden, „Du ſprichſt wahrhaf-
Nicht Wahr, Eabeſt
EN 10 e ei E
— — 7 1 4 17
tig in ſe-ernſtenn Tan daß man meinen möchte, Du
neinzn Shers für baare Münze genommen; ich
Mittwoch „den
20. Mai 1874.
Erſcheint Mittwoch und Sam
ſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt beim Verleger, Schiff
und bei den Trägern. Auswärts bei den L
andb
ten und Poſtanſtalten.
Der Maulatte.
Novelle von C. Brunn⸗Gabris.
(Fortſetzung). ö
Fenno öffnete das duſtende Billets, ehe er es las
berührte er es verſtohlen mit den Lippen. Etſinore
ſchrieb: ö
„„Guten Morgen, mein Fenno! Haſt Du gut geſchla-
fen? Und von Deiner Elſinore geträumt? Mein letztes
Wort geſtern Abend war: Fenno: Glaubſt Du wohl, (
daß ich irgend einen⸗Gedanken habe, in den Du Dich
nicht hineindrängſt? Und immer meinte ich Deinem
Blick zu begegnen, wenn ich aufſehe. Iſt es denn wirk-
lich wahr, mein Fenno, liebſt Du mich? Mich, Elſinore
Walden? Mich, die ich Deiner ſo unwerth bin? O Fenno
wenn Du jetzt auch nicht bei mir biſt, ich lege in Ge-
danken meinen Kopf wie geſtern Abend an Deine Bruſt
und leſe in Deinen ſchönen Augen die Gewißheit mei-
nes Glücks. Ich weiß, ich fühle es, mein Fenno liebt
mich. Mein Fenno! — es ſind noch nicht ſo viel Stun-
den verfloſſen, als zu einem Tage gehören, da war ich
noch in tiefer Verzweiflung, aber nichts — ſo dachte
ich in meinem ſtarren Trotz — ſollte mir eine Klage,
eine Aeußerung meines Schmerzes entreißen; ich hatte
den feſten Vorſatz, kalt und ruhig zu bleiben. Schon
aber fühlte ich ein Schwachwerden, deshalb fuhr ich mit
Mrs. Leſter in die Oper. Aber ich hielt es nicht aus,
jeder Ton peinigte mich, ich hörte im Geiſt immer Deine
Stimme, und als ich zurückkommend Dich allein fand,
flüchtete ich hinter die Maske meines alten Hochmuths,
um nicht weich zu werden. Als ich den Zettel fand,
als ich meine Liebe verrathen und verſchmäht wähnte,
faßte ich den Entſchluß, nun für immer von Dir zu
ſcheiden. Ich wollte Papa überreden, weit fort zu zie-
hen, den Dir noch ferner zu begegnen — nein, das
war mir nicht möglich, mein Stolz empörte ſich da-
gegen. Und doch — ron Dir ſcheiden! Mir war ei-
nen Angenblick, als könnte ich nicht eher ſterben, als
Dich für ewig meiden. — Doch, weißt Du, mein Fenno
weshalb ich eigentlich ſchreibe? Schilt mich närriſch, kin-
diſch, einfältig, aber — erfülle-meine Bitte, laß es,
wenn auch nur für wenige Tage, ein Geheimniß ſein,‚
daß wir uns lieben. Es iſt gewitz lhöricht, aber laß
mir dieſe ſüße Kinderei, Dich verſtöhlen zu begrüßen,
die wenigen Augenblicke des Aleinſeins⸗zu ſtehlen, vor-
den Andern das Glück noßh zu eibergen. Ni ö
He
4. * 74
Fenno, Du willfahrſt den Bitken Deiner kleinen, kindi-
ſchen Braut? Und wenn Du es durchaus nicht anders
willſt, einen Tag mußt Du mir ſchenken. Thuſt Du
es, Fenno? Aber kommen mußt Du, recht bald, recht
oft kommen. Schreibe mir ein paar Zeilen zur Ant-
wort. — Doch, Fenno, was haſt Du nur gedacht, als
Du den Zettel fandeſt? Du haſt das gar nicht geſagt
und irgend eine Vermuthung mußt Du doch gehabt
haben. Beichte, mein Fenno! ö
ö Deine
Elſinore.“
Fenno antwortete: ö
„Meine Elſinore! Meine ſüße Elſi! Taufend Dank
für Deine Zeilen. Ich gebe Deinem Wunſch nach,
wie könnte ich anders! Ich komme, ſobald es irgend
angeht, denn mein Herz verlaͤngt voll Ungeduld nach
Deinem Anblick. Auf Deine Frage in Betreff des
Zeitels antworte ich lieber mündlich, es wird ſich ſchon
eine Gelegenheit dazu ſinden. Ich erwa te Dich nach
Empfang dieſer Zeilen drüben am Fenſter zu ſehen,
damit wir wenigſtens aus der Ferne einen Blick-kauſchen!
Dein —1111
ö Fenno
Und kaum hatte der Diener das Haus verkaſſen,
ſo ſtand Fenno auch ſchon, darauf wartend, daß ſie ſei-
nem Wunſche nachkomme, am Fenſter. Es verging nur
kurze Zeit, ſo erſchien ſie, ihm grüßend zuwinkend, und
er erwiderte ebenſo. Eine Stunde ſpäter ging er hin-
über. Er traf Elſinore und ihren Vater im Parlour.
„Nun“, begrüßte ihn Herr Walden, „wie war die
erſte Nacht in Deiner neuen Wohnung? Haſt Du an-
genehm geträumt?“ **
„Ja, ſehr angenehm“, entgegnete Fenno und kauſchte
einen Blick des Einverſtändnißes mit Elſinore
„Nun, ſo merke Dir Deinen Traum. Es heißt,
was mian in der erſten Nacht, die man in einem frem-
den Hauſe zubringt, träumt, geht in Erfüllung.“
5“, verſetzte Fenno mit einem glücklichen Lächeln
„da könnte es ja gar nicht ſchöner ſein. Wie lange
muß man warten auf die Erfüllung?“
„Ja, da fraͤgſt Du mich zuviel. Du mußt Dich an
einen Traumdeuter wenden, wenn Dir daran gelegen
iſt, das zu erfahren.“ —
„Gut“, ſagte Fenno, „ich habe ſchon Jemand im
Sinne, der mir wohl Anskunft geben kann.“
— „Run“, fagte-Herr Walden, „Du ſprichſt wahrhaf-
Nicht Wahr, Eabeſt
EN 10 e ei E
— — 7 1 4 17
tig in ſe-ernſtenn Tan daß man meinen möchte, Du
neinzn Shers für baare Münze genommen; ich