Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

DOI Kapitel:
Nr. 18 - Nr. 25 (4. März - 28. März)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0076
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
76

Unſer Elſäſſer Abgeord-
nete ſcheine ſich norr dern-
derwege ſo vollzählig im
deitſche Reichsdag eing'fun-
ne zu hawe, um unſerm
deitſche Reichskanzler wege
ihrer Annexion die Hell
recht heeß zu mache. Awer
okondrolleer! Er loßt ſich
nix weniger, wie in die
Hitz durch ſe bringe, un
ſegt'n bei jeder Gelegen-
heit ung'fähr: Zur Liebe
kann ich euch nicht zwin-
gen, doch ſchenk ich euch
mein Bollwerk nicht!
Ich brauch eier Land. Ihr
deckt mich beim neekſchte
Rewanſchkrieg. Weiter hat
es keinen Zweck. — Schaad,
daß d'r Abgeordnete Son⸗=
nemann, der ſo treilich mit
de Elſäſſer g'ſchtimmt, nit
kewefalls en neier „Dit⸗ —.....
ſcher“ is. Sein Reſſonement gege uns dhät'm doch ſo
beſſer anſchtehn. Iwerigens: ö ö
Drotz Sonnemann, drotz Sonnemann!
Mir wiſſe, was mer wolle!
Mir wolle feſchtſchtehn, Mann an Mann,
So lang der galliſch rothe Hahn
Sich uffbloost noch ſo g'ſchwolle!
Drotz Sonnemann, drotz Sonnemann!
Mir b'halte, was mer hawe!
Mir ſinn ke deitſche Ceſl mehr,
Die alles gewe widder her —
D'r Michl is begraawe!
Drotz Sonnemann, Niegolewski,
Drotz Teutſch — nit deitſchl beileiwe!
Drotz Sonnemann un Häfäli,
Mir b'halte unſer Elſäſſli,
's is deitſch, un deitſch ſoll's bleiwe!

Aach unſer Socialdemokrate loſſe ihr Rakeete im

D'r Nagglmaier.

— —

Reichsdag ſchteige. So behaupt neilich d'r Socialdemo-

krat Haſſelmann: Unſer gegewärtiger ſocialer Zu-
ſchtand dhät dem unnerdrickte Arweiter gegeniwer
zum Kulihandl fiehre. Iwer die Gloſſ macht ſich awer
Cener folgende Ulk: ö

Was ſoll ich Ihnen ſagen, meine Herren“ Wenn

heut der Abgeordnete Haſſelmann im Reichstag
wirklich eine lange Rede deklamentirt, meinen Sie denn
es iſt ſchon Alles ſo wie er ſpricht? Kulihandell
Zuſtand! Es wird allerdings zum Kulihandel kommen,
wenn es ſo weiter geht, aber wer wird der Kuli ſein?
Im Grunde genommen, was geht's mich an? Aber ich
ſage Ihnen, wir werden der Kuli ſein, und nicht der
Arbeiter. Sagen Sie mal heut auf dem Alexanderplatz
zu einem Dienſtmann: Hier haben Sie vier Groſchen,
tragen Sie mir raſch dieſen Brief nach der Mauer-
ſtraße, wird er ſich die vier Groſchen dreimal in der

Hand 'rumdrehen, wird ſie Ihnen dann wiedergeben

und ſagen: Dafor loofen Se man alleene hin! Wer iſt

galſo der Kuli? Im Grunde genommen, was geht's
mich an? Aber wenn Einer iſt heutzutage meinetwegen
ein Schneidermeiſter, dann muß er 'rumlaufen, und ſich
mühen und plagen um Kundſchaft zu bekommen, und
wenn er welche hat, und kriegt einen Rock zu machen
muß er dem Geſellen pünktlich am Sonnabend den

Lohn einhändigen, er aber kann warten bis er ſchwarz

wird, ehe er die Rechnung bezahlt bekommt, und manch-
mal noch länger, und wenn's Glück gut iſt, brennt ihm

der Kunde ganz und gar durch. Und dabei beklagt ſich
der Herr Haſſelmaͤnn, daß der Geſelle nicht den gan-

zen Werth der Arbeit allein behält, ſondern daß

der Meiſter für ſeine Mühe und ſeine Sorge und ſein

Riſſiko auch noch einen Reſt in ſeine eigene Taſche ſteckt.

Wer iſt alſo der Kuli? In früherer Zeit, ehe der Herr
Haſſelmann erfunden war, hat der Geſolle gearbeitet
von früh bis ſpät, und wenn er in den Feierabend-

ſtunden noch hat können durch kleine Flickereien ein

Paar Groſchen nebenbei verdienen, hat er's nicht mehr
gethan als gerne. Und wenn er ſich hat ein paar
Thaler erſpart gehabt, iſt er Meiſter geworden, und
hat klein begonnen, und hat's nach und nach zum wohl-
habenden Mann gebracht, wie Sie ſich überzeugen kön-
nen, wenn Sie ſich in Berlin umſehen. Unb dann erſt
hat er angefangen — was man nennt — zu leben.
Heutzutage, der Geſelle, wenn er iſt bis ſechs Uhr in
der Werkſtalt geweſen, ſagt er gefälligſt adieu, geht in
der Walhalla oder im Cirkus und ſchreit Aujuſt von
der Gall'rie runter. Heißt 'ne Menſchenwürdigkeit!
Da frägt der Herr Haſſelmann, ob denn der Lohn des
Arbeiters derartig beſchaffen iſt, daß er etdas davon
erübrigen kann. Im Grunde genommen, was geht's
mich an? Aber nach den Begriffen der heutigen Zeit
kann er allerdings Nichts erübrigen, denn wieſo? Frü-
her hat er können meinetwegen um ein Beiſpiel anzu-
führen eine Mütze aufhaben, heut muß er aber wenig-
ſtens einen Hut tragen. Warum? Wahrſcheinlich weil
im Hut mehr menſchenwürdiges liegt. Zuſtand! —
Man lebt heutzutage eben in einer anderen Zeit. Wenn
früher — was ja unter den Millionen von Arbeitern
einmal vorkommen kann — in einer Werkſtatt ein Ge-
ſelle geweſen iſt, der lieber gefaulenzt hat, anſtatt was
zu thun, hat der Meiſter zu ihm geſagt: Du biſt ein
Müßiggänger. Nun gut! hat das der Geſelle auch ein-
geſehen, und weiter gefaullenzt.
ſter zum Geſellen ſagt: Sie ſind ein Müßiggänger, faul-
lenzt er allerdings auch weiter, aber er verſetzt nebenbei

— wie Herr Haſſelmann ſich unter der Blume ſehr poe- ‚
tiſch ausdrückt — dem Meiſter für dieſe Schmeichelei

eine lederne Medaihle. ö
Sie fragen mich, was das Ende vom Liede ſein
wird? Im Grunde genommen, was geht's mich an?!
Aber ich ſage Ihnen, es wird eine Reaktion kommen,

die den Ardeitern und uns alle kulinariſchen Ge-

nüſſe verſagen wird; wie ſchon der Jägersmann genau

vorher ſagen kann 0 culi, da kommen ſie!

Empfehl' mich, meine Herren.

Druck und Derlag von G. Geiſendörfer.

Wenn heut der Mei-
 
Annotationen