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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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—4

unverſchämt, als erwarte er, daß Fenno ihm nicht
Stand halten werde. So maßen ſie ſich einige Sekun-
den lang ſchweigend, doch lag in der Haltung Fenno's
ebenſo viel waͤhre Hoheit wie in der des Grafen hoch ·
müthige Ungezogenheit.
„Was ſtarren Sie mich ſo urberſchämt an?“ rief
dieſer dem Mulatten zu.
n Sie nicht ein gleiches!“ entgegnete Fenno
ruhig.

„Daran werden Sie ſich wohl gewöhnen müſſen,

wenn Sie ſich in eine Geſellſchaft wie die unſere ein-
drängen“, erwiedette dieſer. ö

(Fortſetzung fabto

Ein welthiſtoriſches Räthſel.
(Fortſetzung.)

Niemand wurde von den Soldaten, unter denen ſich
ſtets einige Gendarmen befanden, in den Thurm gelaſ-
ſen, der nicht Karten vorweiſen konnte, welche von Lau-

rent und Gomin zugleich ausgeſtellt waren. — Daß der

Prinz in der That noch nicht entwiſcht war, bewies
übrigens unter Anderem auch eine Begegnung mit ſei-
ner Schweſter am 23. November 1794. Es war ſtreng
verboten, die Kinder Ludwig's XVI. miteinander in
Berührung kommen zu laſſen. Gleichwohl fügte es an
jenem Tage ein Zufall, daß Marie Thereſe, während
ſie in Begleitung Gomin's in ihr Zimmer, welches

eine Treppe höher lag als das des Bruders, ging, von

der Treppe aus den Letzteren erblicken konnte, wie er
eben aus dem Vorzimmer ſeines Kerkers in Geſellſchaft

Laurent's und des betreffenden Municipalcommiſſars
um auf der Terroſſe ſpazieren geführt zu

heraustrat,
werden. Es war ihr aber nicht erlaubt,
reden, geſchweige denn, ihn zu umarmen.
Trotzdem Gomin und Laurent ſo viel als möglich
die Haft des Knaben zu erleichtern bemüht waren, ſo
blieb doch ſein Geiſt ſtumpf und theilnahmlos und nur
ſelten gelang es, dem Knaben ein Wort zu enilocken;
aber auch ſein Körper mochte unter der ſechsmonatli⸗-
chen Haft gebrochen worden ſein. Nur mit Widerſtre-
ben ließ er ſich in's Freie führen. In der Regel hockte
er am Ofen oder er lag auf ſeinem Bette, ohne einen

mit ihm zu

Laut von ſich zu geben, in dumpfes Brüten verſunken.“

Die Schwäche nahm zuſehends zu und oft mußten die
Wächter ihn auf ihren Armen an die friſche Luft tra-
gen, weil er nicht zu gehen vermochte. Auch äußerlich

ſtellten ſich die Symptome eines ſchleichenden und ver-

derbenbringenden Siechthums heraus. Der ganze Leib
war abgemagert, die Schenkel dünn und lang, der Ober-
körper aufgetrieben und kurz; an den Gelenken traten
ſtarke Anſchwellungen hervor, welche darauf hindeute-
ten, daß die Säfte des Kindes durch und durch ver-

— dorben waren. — Der Municipalausſchuß, dem die
Bewachung des Dauphin zuvörderſt oblag, erhielt von
dem leidenden Zuſtande des Gefangenen Kunde und

nich dieſem Blid nicht aus, ſondern begegnete ihm 10

momentan und zum Scheine beliebt wurde.

getheilt habe.

auf Ehre und vor Gott, daß der Sohn Ludwig's
in meinen Armen und in dem Thurme des Tempels

nach einem Degen,

theilte ſolches auch dem Sicherheitsausſchuß mit; letzte-
rer ſchickte am 27. Februar 1795 eines ſeiner Mitglie-
der nebſt zwei Collegen in den Tempel und ließ ſich
über das Befinden des Prinzen einen umſtändlichen Be-
richt abſtatten. Es wurden in Folge deſſen allerdings
einige oberflächliche Anordnungen getroffen, deren Aus-
führung aber entweder ganz unterblieb oder doch nur
That ſäch-
we blieb die Lage des Knaben ſo, wie ſie zuvor ge-
weſen.
Am 29. März 1795 verließ Laurent den Tempel.
Er hatte von der Behörde ſeine Befreiung von den
ihn drückenden Obliegenheiten erwirkt. Sein Nachfol-
ger wurde nun ein gewiſſer Lasne, vor Profeſſion Ma-
ler und ehedem Gardiſt im königlichen Heere.
Auch dieſen hat unſer bereits genannter Gewährs-

mann aufgeſucht und umgehend über Alles befragt,
was ſich auf die Gefangenſchaft und die Lebensverhält-

niſſe des Prinzen im Tempel bezog. Lasne hat aus-
drücklich durch eine eigenhändige ſchriftliche Beurkundung
anerkannt, daß die Darſtellung Beauchesne's genau der
Wahrheit entſpreche und daß er Alles, was ihm noch
erinnerlich ſei, Herrn Beauchesne wahrheitsgetreu mit-
Es liegt uns der Wortlaut des betreſ-
fenden Schreibens, welches Lasne an Beauchesne ge-
richtet, vor. Es heißt darin u. A.: „Ich erkläre hier
XVI.

geſtorben iſt. — Nur Betrüger können das Gegentheil
behaupten. Ich hatte den unglücklichen Dauphin in
den Tuilerien oft geſehen und habe ihn in dem Gefäng-
niſſe ganz gut wieder erkannt. Paris, 21. October 1837.“
— Aus dieſem Zeugniß eines Gewährsmannes, deſſen
Glaubwürdigkeit keinem Zweifel unterliegt, weil auch er,
wie Gomin, als ein ehrenwerther Mann bekannt gewe-
ſen, ſollte, ſo ſcheint es, die Thatſache des im Kerker
eingetretenen Todes des Königſohnes als erwieſen zu
erachten ſein. Wir werden gleich noch weitere Argu-
mente anführen, welche dieſe Annahme unterſtützen.
Lasne hatte, wie bemerkt, den Knaben im Jahre
1791 in den Tuilerien kennen zu lernen Gelegenheit
gehabt. Er war damals etwas älter als ſechs Jahre;
ſeine Züge ſollen ſchon als Kind viel Ausdruck geha bt
haben und mit einem alltäglichen Kindergeſichte durch-
aus nicht leicht zu verwechſeln geweſen ſein. Schon
dieſer Umſtand unterſtützt die Angabe Lasne's, daß er
den Dauphin wiedererkannt habe. Es kommt noch ein
anderer hinzu, der ebenfalls für die Identität ſpricht.
Lasne berichtet nämlich, er habe den Prinzen an Vor-
gänge erinnert, die nur ihm bekannt ſein konnten, weil
ſie zu den häuslichen Jugenderlebniſſen gehörten, und
führt verſchiedene Umſtände als Belege an. Der Prinz

habe nun durch ſein Benehmen ſo wie auch durch Worte

zu erkennen gegeben, daß auch ihm die Erinnerung an
jene. Vorgänge gegenwärtig war, ja er habe ſich ſogar
der ihm gehörte, und mit welchem
Lasne ihn ehedem geſehen zu haben verſicherte, als er
im Tuilerienhofe die Wache commandirte, lebhaft er-
kundigt. (Schluß folgt.)
 
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