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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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Iunn Blick wargenammen, — den Graßen Falkenburg.
bald, dieſen in's Bewußtſein zurückzurufen,
wie durch ein

ſor: einem anweſenden -Kollegen zum Verbinden übergab.
Als er ſich mit erſchütterter Miene zu Fenno nieder-
beugte, hörte er einen Schreckensruf. aufblickend, ſah er

den Grafen Falkenburg an ſeiner Seite.
Chortſetzung folgt.)

Die Sittenlehren der Religion.

Banner die Menſchen⸗Verfolgung, die Ausrottung ande-

rer Bekenner, die blutigſten Glaubenskriege und die Ver-

treibungen von Ketzern in's Leben gerufen wurden; daß
ſie die Quelle der Unduldſamkeit iſt, welche noch heuti-
gen Tages die Menſchen gegeneinander aufreizt.

In Wahrheit aber iſt dieſer Widerſpruch nur ein

Fingerzeig, wie es ſehr dringlich iſt, die Sittenlehren

der Religion von den Glaubens⸗Erzählungen zu ſondern
und die veredelnden Grundzüge der Religion zu erlöſen
aus der Entſtellung, welche ihr ganzes Weſen im Wun-

derglauben aufgehen läßt. ö

Der Widerſpruch, für den ſo außerordentlich viele

„Beiſpiele vorgeführt werden, iſt in der That nur eine
Folge der Verſchmelzung der Sittenlehre mit der Glau-

benslehre. Die Sittenlehre iſt nicht nur das Edelſte,

was der menſchliche Geiſt jemals erſonnen hat, ſondern
ſie iſt auch rein von allen Barbareien, die Menſchen ge-
gen Menſchen in Kämpfe hineingeriſſen haben. Es hat
niemals einen Fall gegeben, wo man eine Verletzung
der Menſchenliebe als eine Ketzerei vor ein Kirchentri-

bunal gebracht und verurtheilt hat. Mord, Raub, Dieb-

ſtahl, Betrug, Hartherzigkeit, Eigennutz hat man weltli-

ſchen Gerichlen zur Beſtrafung, überwieſen und die Erfah-

rung lehrt ſehr überzeugend, daß dieſe Verbrechen und

Vergehen nicht in geringerem, ſondern in viel höherem
Grade in Zeiten und Ländern geherrſcht haben und noch
berrſchen, wo der Wunderglauben am ſtärkſten verbrei-
tet und vertreten iſt. Nichttum die Sittenlehre, ſondern
um den Wunderglauben ſind Ketzergerichte, Verfolgungs-
Um die Sitten-
Llehre iſt kaum ein Streit in der Menſchheit aufgetaucht.
Im Gegentheil hat jeder Fortſchritt in der Anſchauung
der Pflichten des Menſchen gegen den Nebenmenſchen
ſtets zu einer Erweiterung und Veredelung der Reli-
gionshegriffe, geführt. Es trägt der wahrhaft religiöſe“
Menſch ſo gern alles, das ſein Daſein veredelt, in ſeine
Religion hinein, daß mit der Bereicherung der Erkennt-
„Hiß, mit der. Verfeinerung der Sitten, auch der Reli-
gionsbegriff ſich erweitert und verfeinert. Der Wun-
Deraft dagegen iſt der Feind jedes Fortſchrittes und.
erbitterte Gegner-jeder Abweichung von der einmal

und Ausrottungs⸗Kriege entſtanden.

under war er mit einigen bedeutungs-
loſen Wunden davongekommen, ſo daß ihn der Profeſ-

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dogmatiſirten und für heilig erklärten Anſchauung und
Darſtellung. Nur um dieſen wird Streit erhoben und
der Verdammungsſpruch gefällt. Während die Geſchichte
der Sitten einen Läuterungs⸗Prozeß der Menſchheit auf-
weiſt, zeigt die Geſchichte des Wunderg laubens, daß mit

ſeiner Herrſchaft eine Verwilderüng der Sitten eintritt,

die durch Ketzergerichte und Glaubenskriege die finſter-

ſten und blutigſten Epochen der Menſchheit wachruft.

Darum nennen wir unſer Jahrhundert nicht ein re-

Iligionsfeindliches, weil der Wunderglaube in demſelben
tief erſchüttert worden iſt durch klare Erforſchung der Ge-
I ſchichte, wie durch erweiterte Kenntniß der Naturgeſetze.
Es iſt ein Prozeß der Religionsläuterung, wenn man
ö ö ö vor allem den Kindern und Trägern des Wunderglau-
Gar oft hört man die Religion verherrlichen weil ſie
die Grundzüge der Verſittlichung, die Lehren der Men ⸗
ſchenliebe predigt und verbreitet; nicht minder oft ver-
nimmt man aber auch die Anklage, daß unter ihrem

bens jede Art von weltlicher Herrſchaft entzieht. Iſt
es war, daß ſie Lehrer edler Siiten ſind, ſo wird es ih-
ren Einfluß nicht beeinträchtigen, wenn ſie gleichgeſtellt
werden all den kühnen hohen Geiſtern unſeres Jahrhun-
derts, die ohne jede Herrſchergewalt, nur durch ihr
Dichterwort und ihre Morallehren veredelnd auf die
Völker eingewirkt haben. Wären ſie in Wahrheit nur
Lehrer edler Sitten, ſo würden ſie im Gegentheil frei-
willig erklären, daß „ihr Reich nicht von dieſer Welt
ſei.“ Sie würden in freier Entſagung jeder weltlichen
Macht die Herzen der Völker ſtärken gegen die Verſü-
chungen unſittlicher Verführung und gegen die Ueber-
griffe weltlicher Gewalten, wo ſie der ſittlichen Freiheit
und dem Rechte der Selbſtbeſtimmung Abbruch thun.
Wenn wir über gelockerte ſittliche Haltung klagen
hören, ſo liegt die Wurzel des Uebels nicht in dem durch
die Wiſſenſchaft erſchütterten Wunderglauben, ſondern
in dem traurigen Mißſtand, daß man bisher die Sitten-—
lehre der Religion immer noch in Form der Kindermär-
chen des Glaubens einkleidete. Nur durch dieſen ſchwe-
ren Mißgriff, durch die Verknüpfung der Sittenlehre
mit der Wunderlehre, kam es, daß mit Eintritt der gei-
ſtigen Reife, die das Wunder von ſich abweiſt, auch die Sit-
tenlehre erſchüttert worden iſt. Die Losſagung von dem
immer mehr unhaltbar werdenden Wunderglauben macht
es zur unabweisbaren Pflicht des Völkerlebens, die Re-
ligion aus dieſem Verfall zu retten, die Wunder in das
Gebiet der dichteriſchen Ausſchmückung unwiſſender Zei-
ten zu verweiſen, und befreit von Dogmen, die Sitten-
lehre als das Geiſtesband der Menſchheit feſt um dieſelbe
zu ſchlingen, das ſie aufrichtet in der Menſchenliebe,
welche die Quelle aller Religion iſt. **•T*
Wir leben in Kämpfen des Geiſtes, wo eine beſſere
Zeit reiner Erkenntniß ſich emporringt aus dem Grabe
zeiner wunderſüchtigen dunkeln Vergangenheit. Laſſen
wir uns nicht beirren durch Trübungen, welche eine
Folge dieſes Kampfes ſind! Wir dürfen getroſt der beſ-
ſeren Zukuuft entgegenſchauen, wo im Läuterungs⸗Pro-
zeß der Menſchheit ein Frühlingsmorgen nicht ausblei-

bleiben wird, in welchem die Religion aus dem Grabe

der Wunder
feiert.

ihre Auferſtehung in fittlicher Reinheit
 
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