Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

DOI Kapitel:
Nr. 35 - Nr. 40 (2. Mai - 20. Mai)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0143
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
14³

Die Wetterpropheten unter den Thieren.
Von Carl Schenkling.

ö CFortſetzung.)
Wir werden dabei aber auch Gelegenheit nehmen
müſſen, zu zeigen, wie leicht eine oberflächliche, nicht
auf wiſſenſchaftlicher Baſis ruhende, Beobachtung der
Dinge und Erſcheinungen zu falſchen Schlüſſen verlei⸗—
ten und zu irrigen Urtheilen und Vorſtellangen Anlaß
geben kann.
Wenn es zunächſt darauf ankommt, die Witterung
einer entfernteren Zeit zu beſtimmen, ſo gelten vielfach
die Zugvögel als ſichere Propheten. Man ſagt: Wenn
die Zugvögel außergewöhnlich frühe wegziehen, ſo be-
deutet dies einen zeitigen und harten Winter, wogegen
ihr längeres Verweilen einen ſpäten und milden Win-
ter anzeigt. Oder: Kommen die Zugvögel zeitig zurück
ſo haben wir einen frühen und warmen, andernfalls
einen ſpäten und kalten Frühling zu erwarten. Ebenſo
will man wiſſen, daß es einen ſpät eintretenden Win-
ter anzeige, wenn Storch, Schwalbe oder irgend ein
Zugvogel wider Gewohnheit zweimal brütet. Ob das
wahr iſt? —
Bekanntlich werden die Zugvögel und andere Wan-
derthiere in Hinſicht ihres Gehens und Kommens durch
ein uns fremdes Gefühl, einen uns unverſtändlichen
innern Trieb geleitet, den man ſeit Alters unter dem
dunkeln Begriff „Inſtinkt“ verſtehen wollte. Dieſer
Inſtinkt aber, der alle Handlungen der Thiere leiten
und regeln ſollte, waltete über ihnen wie ein guter
Genius, deſſen Einwirkungen ſie ſich niemals entziehen
könnten, weil er mit zwingender Gewalt den ganzen
Organismus beherrſche und jede Regung eines Selbſt-
willens ausſchließe. Neuerdings iſt man jedoch dahin
gekommen, jenen unklaren, nichtsſagenden Begriff gänz-
lich fallen zu laſſen und auch den Thieren freie Selbſt-
beſtimmung zuzuerkennen, ſo daß ihr Thun und Laſſen
aus freier Wahl hervorgeht, und auf Anerbung, Ge-
wohnheit und Erfahrung ſich ſtützt. Denn der Inſtinkt,
wie man ihn ſich dachte, könnte dem Thier doch nur
behufs Förderung ſeines Wohlergehens gegeben ſein
und ihm darum nur unfehlbare Handlungen zulaſſen;
eine Verirrung dagegen iſt ganz undenkbar, iſt nnmög-
lich. Und doch lehrt die Erfahrung, daß ſowohl Storch
wie Schwalbe und andere Zugvögel in der Zeit des
Ziehens und Kommens ſich ſtark verrechneten und den
Einflüſſen einer plötzlich hereinbrechenden Kälte erlie-
gen mußten. Wie oft ſind nicht einige Vorwitze — in
dee That ſind es immer nur Einige — das Opfer ih-
res Uebermuths geworden! Bereits angekommene Enten
und Gänſe erlagen dem unerwarteten Rückſchlag der
Kälte, ſoweit ſie nicht durch eilige Umkehr ſich rette-

ten. Erſt im Frühlinge v. J. wurden die bereits zu-

rückgekehrten Störche im ſüdlichen Deutſchland durch
nachkommende Schneefälle belehrt, daß ihre Zeit noch
nicht gekommen war. Der milde Februar hatte ſie irre
geführt; ſie hatten ſich verrechnet und mit ihnen Alle,

die aus ihrem frühen Erſcheinen einen zeitigen Frühling
zu prophezeien ſich unterfingen. In ſelbigem Jahre
habe ich auch die graue Bachſtelze wieder umkehren ſe-
hen, die, obſchon ſehr vorſichtig und mir ſeit lange als
ſicherer Bürge für den Einzug des Frühlings bekannt,
doch diesmal den garſtigen Nachwinter nicht geahnt
hatte. ö ö ö
Wie ſteht's aber in ſolchen Fällen um den ſicher lei-
tenden Inſtinkt? Und was ſollen wir halten von ſol-
chen Propheten, die ſich ſelbſt betrogen hatten? Ach
nein, man glaube doch nicht, daß ein Thier ſchon im
Herbſte ein Vorgefühl des erſt lange nachher eintreten-
den ſtarken Froſtes haben könne, oder daß es mit un-
trüglicher Gewitzheit die Ankunft und Dauer ſchöner
Tage lange vorher erkenne und fühle. Die Sache iſt
vielmehr ſo, daßz die Zugvögel immer nur den Ein-
drücken des jeweiligen Wetters folgen, die heitern und
warmen Herbſttage bei uns noch genießen und wohl
auch durch andauernd gute Witterung ſich verleitet füh ⸗ö
len, ſeldſt gegen ihre Gewohnheit zweimal zu brüten.
So brütete der Storch im Sommer 1857 mancher Or-
ten zum zweitenmale, gerade wie er es gethan hatte
im heißen Sommer von 1811, dieſem berühmt gewor-
denen Wein- und Kometenjahre. So fütterte auch bei
uns noch eine und die andere Schwalbe in den erſten
Tagen des September 1857, zu einer Zeit, wo ſich dies
Völkchen ſchon zum Abzug ſammelte, die zweite Brut
in ihrem Neſte. Dieſe Schwalben wie jene Störche
werden nun ihren Abzug über den gewöhnlichen Ter⸗—
min hinaus verſchieben in Abwartung der Zeit, wo ihre
zweite Brut flugkräftig geworden iſt. Und wenn wir
ſie aus der Fremde verfrüht zurückkehren ſehen, ſo be-
kundet ſich dadurch nur das Sehnen nach der lieben
Heimath, nach dem Orte ihrer Geburt, wo auch ſie ein
Neſt bauen und Junge zeugen können, nicht aber ein
prophetiſcher Geiſt, dem lange vorher die Witterungs-—
verhältniſſe ferner Tage und Wochen erſchloſſen ſein
ſollen. Somit folgt, daß die Zugvögel keinen ſichern
Anhalt bieten, um ihre Wanderungen zu Wetterprophe-
zethungen benutzen zu können, und es war ſicher ein
gar ſchlauer Kaiendermacher und Wetterprophet, der
als entſchuldigende Ausrede das Sprüchwort erfand:
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
Wie die Zugvögel im Allgemeinen, ſo gilt der Dachs
bei den Jägern, der Hamſter bei den Landwirthen als.
guter Wetterprophet. Haben fie ihre Höhlen außerge-
wöhnlich tief und geräumig angelegt und hat letzterer
reichen Vorrath eingeheimſet, ſo gelten dieſe Umſtände
als Anzeichen eines harten uud langen Winters. Wie
verſtändig ſolches von den Thieren auch wäre, ſo wird
man bei vorurtheilsloſer Beobachtung doch immer ſin-
den, daß nur die lokalen Verhältniſſen und damit ver-
bundene Umſtände es waren, welche das Thier beſtimm-
ten, ſo und uicht anders zu handeln.

(Fortſetzung folgt.)
 
Annotationen