INNEN-DEKORATION
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LEBENDIGE VERGANGENHEIT
Jeder deutsche Gau hat seinen nur ihm eignen Gast-
stubentyp; und was diesen ehrwürdig macht, ist
nicht das Altertümliche, sondern das unvergängliche
Stück lebendiger Volkswirklichkeit, das er mit sich
führt. Was bloß alt ist, vergeht, und das mit Recht.
Aber sehen wir uns einmal die Mundarten an, wie
sie überall im deutschen Land gesprochen werden.
In ihnen steckt gewiß viel Altertum, das dem Hoch-
deutschen verloren ging. Aber Mundart wird nicht
deshalb heute noch gesprochen, weil uns ihr Alter-
tum ehrwürdig ist, sondern weil die landschaftlich
bedingte Volksart heute wie je im Dialektwort ihren
echtesten Ausdruck findet. Der stammesbedingte
Mensch ist in der Mundart gegenwärtig, ihre immer-
gültige Lebenswirklichkeit ist täglich so »neu«, so
»zeitgemäß«, wie die »modernsten« Erfindungen des
technischen Verstandes.
Die landesübliche Gaststube ist nun ebensowenig
bloßes Altertum wie die gesprochene Mundart. Sie ist
ein Stück immergültiges Stammesleben, gleichsam
ein Stück »mundartlicher« Wohnform - und wo wäre
dies mehr am Platze als gerade in der Gaststube, wo
nicht eine »Schicht« unter sich verkehrt, sondern wo
der einzelne sich als Volksglied zum Volke gesellt.
Der Gasthof der Großstadt betont in seiner Ausstat-
tung mehr das verbindende Element der zeitgemäßen
Zivilisation, die volkstümliche Gaststube aber rückt
mehr das Bleibende, Immerfrische der Stammesart in
den Vordergrund. Wenn der Pfälzer in der tiefen Fen-
sternische seiner Winzerstube sitzt, zwischen ge-
tünchten, sauber schablonierten Wänden, das ge-
buckelte Schoppenglas vor sich auf der blankge-
scheuerten Platte des spreizbeinigen Stegtisches, wei-
ßer Sand auf den Dielen, ein lustiges Holzfeuer im
Eisenofen, dessen Schauseiten schöne Eisengußreliefs
zieren, — dann fühlt er sich nicht in einer romanti-
schen Vergangenheit, sondern in der gültigsten Ge-
genwart. Ebenso ergeht es dem Oberbayern auf der
Sitzbank des urbehaglichen Kachelofens, dem Nie-
dersachsen unter der verräucherten Balkendecke
seiner altgewohnten Gaststube; das ist lebendige
Heimat, wie die Mundart, die sie sprechen. - w.m.
1W1. Iü. 3
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LEBENDIGE VERGANGENHEIT
Jeder deutsche Gau hat seinen nur ihm eignen Gast-
stubentyp; und was diesen ehrwürdig macht, ist
nicht das Altertümliche, sondern das unvergängliche
Stück lebendiger Volkswirklichkeit, das er mit sich
führt. Was bloß alt ist, vergeht, und das mit Recht.
Aber sehen wir uns einmal die Mundarten an, wie
sie überall im deutschen Land gesprochen werden.
In ihnen steckt gewiß viel Altertum, das dem Hoch-
deutschen verloren ging. Aber Mundart wird nicht
deshalb heute noch gesprochen, weil uns ihr Alter-
tum ehrwürdig ist, sondern weil die landschaftlich
bedingte Volksart heute wie je im Dialektwort ihren
echtesten Ausdruck findet. Der stammesbedingte
Mensch ist in der Mundart gegenwärtig, ihre immer-
gültige Lebenswirklichkeit ist täglich so »neu«, so
»zeitgemäß«, wie die »modernsten« Erfindungen des
technischen Verstandes.
Die landesübliche Gaststube ist nun ebensowenig
bloßes Altertum wie die gesprochene Mundart. Sie ist
ein Stück immergültiges Stammesleben, gleichsam
ein Stück »mundartlicher« Wohnform - und wo wäre
dies mehr am Platze als gerade in der Gaststube, wo
nicht eine »Schicht« unter sich verkehrt, sondern wo
der einzelne sich als Volksglied zum Volke gesellt.
Der Gasthof der Großstadt betont in seiner Ausstat-
tung mehr das verbindende Element der zeitgemäßen
Zivilisation, die volkstümliche Gaststube aber rückt
mehr das Bleibende, Immerfrische der Stammesart in
den Vordergrund. Wenn der Pfälzer in der tiefen Fen-
sternische seiner Winzerstube sitzt, zwischen ge-
tünchten, sauber schablonierten Wänden, das ge-
buckelte Schoppenglas vor sich auf der blankge-
scheuerten Platte des spreizbeinigen Stegtisches, wei-
ßer Sand auf den Dielen, ein lustiges Holzfeuer im
Eisenofen, dessen Schauseiten schöne Eisengußreliefs
zieren, — dann fühlt er sich nicht in einer romanti-
schen Vergangenheit, sondern in der gültigsten Ge-
genwart. Ebenso ergeht es dem Oberbayern auf der
Sitzbank des urbehaglichen Kachelofens, dem Nie-
dersachsen unter der verräucherten Balkendecke
seiner altgewohnten Gaststube; das ist lebendige
Heimat, wie die Mundart, die sie sprechen. - w.m.
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