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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Der " Lebendige Tag"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0223

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INN EN-DEKORATION

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»KAMINPLATZ« SOFA- U. SESSELBEZUG : KARIERTER WOLLSTOFF,TEPPICH: SCHAFWOLLE, LAMPE: EISEN MIT PERGAMENTSCHIRM

DER »LEBENDIGE TAG«

Als gegen das Jahr 1820 in Deutschland das »Go-
,/l.tische« zur Mode wurde und sich mit seinen cha-
rakteristischen Form- und Ziermotiven in den Wohn-
räumen auszubreiten begann, machte Goethe zu
Eckermann die Bemerkung: »Sein Wohnzimmer mit
so fremder und veralteter Umgebung auszustaffieren,
kann ich gar nicht loben. Es ist immer eine Art von
Maskerade, die auf die Länge in keiner Hinsicht wohl-
tun kann. Denn so etwas steht im Widerspruch mit
dem lebendigen Tage, in den wir gesetzt sind, und wie
es aus einer leeren und hohlen Denkweise hervor-
geht, so wird es auch darin bestärken.«

Gedanken wie diese haben - die Älteren unter uns
erinnern sich dessen wohl - in den Zeiten des Über-
gangs zur heutigen Bau- und Gewerbeform in den
Gesprächen der Fachleute eine große Rolle gespielt.
Sie bildeten den Kern der Programme, mit denen seit
den 90er Jahren englische, belgische, holländische,
französische und vor allem deutsche Künstler eine
neue, zeitgemäße, alles historische Stilwissen verwer-
fende Formgebung ins Werk zu setzen begannen.
Goethes Prägung führt in eine Zeit zurück, da durch

die plötzliche Rückbesinnung auf das deutsche Mittel-
alter ein erster Vorstoß dieser »Maskerade« erfolgt
war. Fialen, Wimperge, Krabben an Schrankbekrö-
nungen, gotische Pfeilerbündel als Tischstützen, Ar-
kaden und Zinnen an Betthimmeln - das ging dem
Alten von Weimar gegen den Strich, und mit schar-
fem Auge legte er das Künstliche, das Kostümhafte
an solchem Verfahren bloß. Aber es gilt zu bedenken,
daß Goethe selbst, so sehr wir ihm in dem angeführten
Satze beistimmen werden, weit davon entfernt war,
den »lebendigen Tag« in der Haus- und Wohnungs-
gestaltung grundsätzlich zu vertreten. Ihn empörte
lediglich das gotisch-mittelalterliche Formelement,
das ihm da die romantische Zeitbewegung vor Augen
stellte, und ihm gegenüber blitzte das Bewußtsein auf,
daß eine solche »Maskerade« eben doch Lüge ist, die
sich auf die Dauer mit wahrer Kultur, mit echtem
Stehen im Wirklichen nicht verträgt.

Er selbst aber blieb dabei völlig im Klassizistischen
befangen! Die ionische Säule, der antike Tempelgie-
bel am Sekretär störten ihn nicht, sie stellten ihn nicht
vor die Frage, ob diese Elemente uns Deutschen denn
 
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