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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Michel, Wilhelm: Vor hundert Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0184

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176 INNEN-DEKOR AT ION

»HERRENZIMMER« DIWAN: PFLAUMENFARBENER UND ZIEGELROTER SAMT. SPIELTISCH, STQHLE: PAL1SANDER MIT WILDLEDER

VOR HUNDERT JAHREN

Jahrhundertfeiern von Geburts- oder Todestagen
führen uns gegenwärtig häufig in eine Zeit zurück,
die gerade mit ihrem Möbelstil eine lange, noch heute
manchmal spürbare Nachwirkung gehabt hat. Es ist
die Biedermeierzeit. Man rechnet zu ihr die Jahr-
zehnte zwischen den Freiheitskriegen und dem
Sturmjahr 1848. Aber diese Grenze ist nicht streng;
was wir biedermeierisches Leben und Wohnen nen-
nen, bleibt noch weit über 1848 hinaus bemerkbar.
Und auch der Begriff selbst ist keineswegs eindeutig.
In der Biedermeierzeit wirken vor allem die Aussen-
dungen des Klassizismus, aber es ziehen sich durch
sie, besonders im Anfang, auch die romantischen
Tendenzen, die im Mobiliar wie in der Tracht, in der
Kunst und in der Poesie das Mittelalterliche, das
»Gotische« wieder in Mode brachten. Nicht nur die
»Nazarener«, sondern viele deutsche Männer trugen
den Aaltdeutschen« Rock, das zugehörige Barett, und
dazu gesellten sich an Stühlen, Kommoden und Kana-
pees die Zierformen des gotischen Kirchenbaues.
»Wir werden es erleben, daß man sich Eyskisch an-

zieht und möbliert und die Gärten und Spaziergänge
hemmelinkisch einrichtet«, schrieb Dorothea Schlegel
1817 an Sulpiz Boisseree, als dieser nach Berlin über-
zusiedeln gedachte. Aber schließlich haben doch diese
ersten Versuche eines gotisierenden Wohnstils nicht
zum Ziele geführt, und herrschend bleibt für die Bie-
dermeierzeit im weitesten Sinne die in klassizisti-
schen Bahnen fortgehende Möbelform, mit der die
Epoche berühmt geworden ist. Es war für Deutsch-
land eine Zeit der Armut, der wirtschaftlichen Be-
engung. Diese Armut hat mit der klassizistischen
Grundtendenz, die seit je eine Vorliebe für glattweiße
Wände, gerade Linien, strenge Profile und sparsame
Möblierung hatte, zusammengewirkt zum Aufkom-
men eines Wohnstils, der die Zweckmäßigkeit obenan
stellte und sich, bei großer handwerklicher Gediegen-
heit, in schlichten kubischen Formen bewegte. Adal-
bert Stifter schrieb 1834 seine »Studien«; in ihnen
stattete er das erträumte Heim eines Dichters mit
Möbeln aus, die »edel, massiv, antik einfach, scharf-
kantig, glänzend« sein müssen. Mit diesen Zügen ist
 
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